Edinburgh/Wien - Island verdankt seine atemberaubende Landschaft vor allem einem ausgeprägten Vulkanismus und Wasserreichtum. Besonders zu beeindrucken vermag der im Norden des Landes gelegene Jökulsárgljúfur-Nationalpark, der sich über ein teils hundert Meter tiefes und 28 Kilometer langes Schluchtensystem bis zum mächtigsten Wasserfall Europas erstreckt, dem Dettifoss.

Der Dettifoss (isländisch für "stürzender Wasserfall") im Jökulsárgljúfur-Nationalpark ergießt sich knapp 45 Meter in die Tiefe. Er gilt als leistungsstärkster Wasserfall Europas.
Foto: Edwin Baynes

Rasante Erosion

Hier stürzt etwa 30 Kilometer vor der Mündung in den Arktischen Ozean der Fluss Jökulsá á Fjöllum 45 Meter in die Tiefe und übertrifft dabei die Energieleistung aller anderen europäischen Wasserfälle. Nun haben Geologen um Edwin Baynes von der University of Edinburgh die Entstehungsbedingungen des Jökulsárgljúfur-Canyons genauer untersucht und dabei Erstaunliches festgestellt.

Offenbar entstand er weitaus schneller als bisher angenommen, nämlich durch mehrere nur wenige Tage andauernde extreme Flutereignisse. Zwischen diesen gewaltigen Erosionsvorkommnissen lägen zwar mehrere Jahrtausende, wie die Wissenschafter im Fachblatt "PNAS" berichten. Die einschneidende Landschaftsformung habe aber jeweils nur Tage beansprucht. Für ihre Studie analysierten die Forscher die Topografie und geochemische Zusammensetzung von Oberflächengestein entlang eines fünf Kilometer langen Canyonabschnitts.

Aus diesen Daten ließen sich drei massive Erosionsereignisse ablesen und auf einen Zeitraum zwischen 9000 und 2000 Jahre datieren. Zu diesen Zeitpunkten dürften jeweils vulkanische Eruptionen zu drastischen Gletscherabschmelzungen geführt haben, die ihrerseits wiederum gewaltige Flutwellen auslösten.

Ausschnitt der 28 Kilometer langen und bis zu 100 Meter tiefen Jökulsárgljúfur-Schlucht vom Dettifoss aus gesehen.
Foto: Edwin Baynes

Subglaziale Aktivitäten

Zu derartigen Überflutungen kam es im angegebenen Zeitraum zwar mit Sicherheit noch viel öfter - unter nahezu allen isländischen Gletschern befinden sich Vulkane, die aktivsten unter dem heute größten Plateaugletscher Vatnajökull -, ein solches Ausmaß, dass die Wassermassen große Basaltformationen mit sich rissen und so das Schluchtensystem innerhalb kürzester Zeit formten, erreichten sie jedoch vergleichsweise selten, so die Forscher.

Welche langfristigen Auswirkungen kurze geologische Prozesse aber haben können, sei nicht zu unterschätzen, so Baynes: "Wir denken bei natürlichen Landschaften meist an etwas, das über die Jahrtausende entstanden ist - aber manchmal kann es auch viel schneller gehen." (David Rennert, DER STANDARD, 12.2.2015)