Aus Sicht der Börse war der Dienstag ein guter Tag für die Raiffeisen Bank International (RBI). Trotz eines Verlustes von 500 Millionen Euro ist die Aktie stark gestiegen, nachdem Vorstandschef Karl Sevelda einen drastischen Schrumpfkurs angekündigt hatte. Die Bank, so die Meinung der Analysten, scheint ihre Risiken in den Griff zu bekommen.

Aber aus Sicht der größten Bankengruppe des Landes war es ein schwarzer Tag – der Abschied von einer Vision, die vor 30 Jahren begonnen hatte, als die Raiffeisen Zentralbank noch vor dem Fall des Eisernen Vorhangs ihre erste Tochter in Ungarn eröffnete. In den 1990er-Jahren gewann diese Strategie an Fahrt: Ganz Mittel- und Osteuropa ist Raiffeisens Heimmarkt, verkündete Herbert Stepic, der hemdsärmelige Architekt der Expansion, vollmundig und eröffnete im Wochenrhythmus Filialen in immer neuen Ländern – bis hin nach Russland und in die Ukraine. Die Direktoren in den Landesbanken und Raiffeisenkassen, die die neuen Stützpunkte nicht einmal auf der Karte finden konnten, freuten sich. Denn die Gewinne begannen bald zu sprudeln.

Die Raiffeisen-Strategie förderte den Aufschwung in der Region und in Österreich. Wien wurde zum respektierten Finanzmarkt, und wo immer heimische Unternehmer neue Märkte erschlossen, war das Giebelkreuz zu ihren Diensten. Das brachte hochbezahlte Jobs ins Land. Zu den Gewinnern zählten auch die Aktionäre, die beim Börsengang der Bank 2005 zu einem Kurs von 40 Euro einstiegen. Zwei Jahre später war die Aktie fast das Dreifache wert. Die Aktienmehrheit aber blieb im Genossenschaftssektor. Das sei gut, hieß es, denn solche Eigentümer strebten nicht nach kurzfristigen Gewinnen und brächten viel Stabilität.

Doch dieser finanzielle Prachtbau stand auf wackeligem Grund. Das Wachstum im Osten war schuldenfinanziert, beim Versiegen des Kapitalflusses drohte ein Berg fauler Privatkredite. Genau das geschah nach dem Kollaps von Lehman Brothers im September 2008. Anders als Hypo Alpe Adria, Kommunalkredit und ÖVAG kamen die Großinstitute Raiffeisen und Erste noch mit einem blauen Auge davon. Für Österreich ein Riesenglück: Denn auch nur eine der beiden Banken zu retten hätte die Republik finanziell überfordert und eine nationale Schuldenkrise ausgelöst.

Bei Raiffeisen kam jedoch dazu, dass die Eigentümerstruktur auch für mittlere Unfälle nicht gewappnet ist. Wenn andere Banken mehr Kapital benötigen, dann geben sie neue Aktien aus. Die RBI kann das nicht: Die Beteiligung des Sektors darf nicht unter 50 Prozent fallen, sonst hätten die Landesbanken akuten Kapitalbedarf.

Nachdem in den vergangenen Monaten der Super-GAU eingetreten ist – Basel III, Ukraine-Krieg, Rezession in Russland, Frankenaufwertung –, hat Stepic-Nachfolger Sevelda nur eine Wahl: Er muss auf Teufel komm raus alles verkaufen, was kurzfristig Geld einbringt – sogar die Polen-Tochter, die erst vor wenigen Jahren mit viel Wagemut erworben wurde. Auch der Komplettrückzug aus Russland ist wohl nur eine Frage der Zeit, und eine spätere Rückkehr in die verlassenen Märkte ist so gut wie ausgeschlossen.

Die RBI kann die Krise überstehen – aber nur, wenn sie weiter schrumpft. So wie die Volksbanken kann auch der Raiffeisensektor keinen Bankkonzern mit hohen Auslandsrisiken tragen. Der Traum der Provinzbanker von der großen Finanzwelt ist ausgeträumt. (Eric Frey, DER STANDARD, 11.2.2015)