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Helicobacter pylori kann zu schwerer Gastritis und in weiterer Folge zu Magengeschwüren und Krebs führen. Ohne Helicobacter leidet aber das Immunsystem.

Illu.: Picturedesk / Science Photo Library / Harris

Graz - Bis in die 1980er-Jahre ging man davon aus, dass Magengeschwüre und Magenkrebs die Folge von übermäßigem Stress und falscher Ernährung sind. Nur wenige Forscher bezweifelten diese allgemeine Überzeugung. Einer von ihnen bekam dafür letztlich den Nobelpreis. Der australische Mikrobiologe Barry Marshall konnte nachweisen, dass es ein Bakterium ist, das die meisten Magengeschwüre und Magenkrebserkrankungen verursacht.

Da etablierte Lehrmeinungen nicht ohne heftigen Widerstand zu widerlegen sind, hat Marshall die Stichhaltigkeit seiner Erkenntnisse auf radikale Weise verifiziert: Er unternahm 1984 einen Selbstversuch und trank ein Glas mit den von ihm entdecken Helicobacter-pylori-Bakterien. Planmäßig stellte sich bald eine schwere Gastritis ein, die er mit Antibiotika erfolgreich behandelte. Damit war der Nachweis für die Existenz und Wirkung des Helicobacter pylori erbracht. 2005 erhielt er dafür gemeinsam mit John Robin Warren den Medizinnobelpreis.

Inzwischen ist bekannt, dass sich rund 90 Prozent aller Magenkarzinome auf eine chronische Infektion mit Helicobacter pylori zurückführen lassen. Zurzeit wird diese weltweit häufigste bakterielle Erkrankung vor allem mit Antibiotika behandelt. Das Problem dabei: Die Therapie hat Nebenwirkungen, und das Bakterium wird häufig gegen das Antibiotikum resistent. Deshalb knüpft man zurzeit große Hoffnungen an die Entwicklung einer Impfung gegen Magenkrebs.

Als Verursacher einer oft letalen Tumorerkrankung hat das von Marshall entdeckte Bakterium naturgemäß einen üblen Ruf, Es gibt aber auch Wissenschafter, die sich auf die Suche nach den positiven Effekten des Helicobacter pylori begaben.

Worauf sie sich stützen? "Evolutionsbiologisch kann man den Helicobacter pylori bis an den Beginn der Menschheit zurückverfolgen", erläutert die Molekularbiologin Sabine Kienesberger vom Institut für molekulare Biowissenschaften der Uni Graz. "Wenn ein Bakterium über so lange Zeit in so vielen Menschen vorhanden ist, stellt sich die Frage, ob es sich überhaupt um ein Pathogen, einen Krankheitserreger, handelt und nicht vielmehr um ein Kommensale, also eine Art Mitbewohner im Verdauungstrakt." Dass dieser Mitbewohner auch eine positive Wirkung auf seinen Wirt haben könnte, legt die Beobachtung nahe, dass in Gesellschaften mit einem reduzierten Vorkommen von Helicobacter pylori bestimmte Krankheiten verstärkt auftreten - insbesondere Asthma bei Kindern.

Mäuse mit Asthma

Tatsächlich konnten Schweizer Forscher an Mäusen nachweisen, dass zwischen diesen beiden Phänomenen eine kausale Verbindung besteht. Sie infizierten neugeborene Tiere mit Helicobacter pylori, später hat man bei ihnen künstlich Asthma ausgelöst. Das Ergebnis bestätigte die epidemiologischen Beobachtungen: Im Gegensatz zur Vergleichsgruppe ohne das Bakterium bekamen die mit Helicobacter pylori infizierten Mäuse kein Asthma. "Der Helicobacter pylori greift also in die Entwicklung des Immunsystems auf eine Weise ein, dass es die Mäuse vor Asthma schützen kann", folgert die Molekularbiologin.

Diesen Zusammenhang wirklich zu verstehen und die Auswirkungen von Helicobacter pylori auf die anderen Bakterien im Organismus zu ermitteln, ist das Ziel ihrer Forschungsarbeit. "Obwohl bei Mäusen nur rund zehn Prozent der Magenbakterien Helicobacter pylori-Bakterien sind - beim Menschen sind es bis zu 90 Prozent -, können wir Auswirkungen auf andere Bakterien sowohl im Magen als auch im Darm beobachten", berichtet Sabine Kienesberger. "Dabei kommt es nicht zu einer Verdrängung dieser Bakterien, sondern zu einer veränderten Zusammensetzung der Bakterienvielfalt, die wiederum die Entwicklung des Immunsystems beeinflussen kann."

Frage des Lebensalters

Kann man die positiven Aspekte des Helicobacter pylori nutzen, ohne sich gleichzeitig der Gefahr seiner negativen Wirkung auszusetzen? "Ja, das ist möglich", ist Sabine Kienesberger überzeugt. "Indem man Kindern sehr früh das Bakterium verabreicht, sodass sich das Immunsystem noch entsprechend entwickeln kann. Idealerweise verwendet man speziell entwickelte Helicobacter-pylori-Stämme, die sich nur unter kontrollierten Bedingungen im Magen ansiedeln können und später - ehe negative Aspekte auftreten - wieder verloren gehen." Es sei also vor allem eine Frage des Lebensalters, ob das Bakterium eine gesundheitsfördernde oder eine schädigende Wirkung hat.

Mit ihrer teilweise vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Arbeit will die junge Wissenschafterin "das Dogma vom ausschließlich bösen Helicobacter pylori ins Wanken bringen". Während eines Aufenthalts an der New York University School of Medicine traf sie den renommierten Arzt und Mikrobiologen Martin Blaser, durch den sie auf das ebenso komplexe wie unterschätzte Aufgaben- und Beziehungsgeflecht unserer bakteriellen Mitbewohner aufmerksam wurde. Statt eine Professur in den USA anzunehmen, ging sie nach Graz als Postdoc. Dass Blasers Bestseller Missing Microbes: How the Overuse of Antibiotics Is Fueling Our Modern Plagues demnächst auch in deutscher Übersetzung vorliegt, sollte auch zu einem breiteren Verständnis für diese Arbeit führen. (Doris Griesser, DER STANDARD, 11.2.2015)