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Jörg Leichtfried: "Die Hühner bleiben zu Hause."

Foto: APA/ERWIN SCHERIAU

Jörg Leichtfried, Delegationsleiter der SPÖ im Europäischen Parlament und Vizepräsident der europäischen Sozialdemokraten, hat kürzlich "geheime" Akten zum Freihandelsabkommen TTIP studiert. Über die Schlüsse, die er aus der Lektüre zieht, dürfe er jedoch nicht sprechen. Und: "Die wirklich wichtigen Dinge, die man für die Entscheidungsfindung bräuchte, sind nach wie vor nicht einsehbar", kritisiert Leichtfried.

derStandard.at: Sie hatten kürzlich erstmals Zugang zum berühmten Leseraum, wo die Akten zur TTIP-Verhandlung gelagert sind. Eine Offenbarung?

Leichtfried: Das ist ein Raum mit einer Raumnummer, die in der Gebäudeplanung des EU-Parlaments nicht vorgesehen ist. Er hat die Endnummer 18, und wenn man in diesen Gebäudeteil kommt, trifft man auf die Türen 17 und 19. Dazwischen ist nichts. Bei 17 habe ich nachgefragt, dort wurde ich darauf verwiesen, dass 18 kein Büro ist und dass das alles sehr geheim ist. Letztlich wurde ich dann doch zum berühmten Raum 18 gebracht, wo die TTIP-Akten lagern.

derStandard.at: Und dort durften Sie nach Lust und Laune in den TTIP-Akten stöbern?

Leichtfried: Nein, es war alles sehr umständlich. Man muss sein Mobiltelefon und alles, was Aufzeichnungen ermöglicht, abgeben, und man darf den Raum nur mit einem Kugelschreiber betreten. Der Raum ist massiv gesichert mit einem Kombinationsschloss elektronischer Art. Ein mit dem eigenen Namen bedrucktes Papier, das für Geheimmitschriften offenbar geeignet ist, bekommt man zur Verfügung gestellt. Mir wurden dann nur die beiden Ordner ausgehändigt, die ich bestellt hatte.

derStandard.at: Welche Dokumente haben Sie sich aushändigen lassen?

Leichtfried: Ich habe mich für Fragen der Lebensmittelsicherheit und für Verkehrspolitik interessiert. Während ich die Akten studiert habe, war die Mitarbeiterin ständig im Raum.

derStandard.at: Und war Ihre Lektüre erkenntnisreich?

Leichtfried: Es ist ein Fortschritt, dass man die Ordner jetzt anschauen kann. Diese waren vorher nur einem ganz eingeschränkten Personenkreis zugänglich. Aber: Die wirklich wichtigen Dinge, die man für die Entscheidungsfindung bräuchte, sind nach wie vor nicht einsehbar: nämlich die konkret ausgehandelten Ergebnisse, außerdem sind die Verhandlungsvorschläge der Amerikaner nicht einsichtig. Dieses Wissen würde man allerdings benötigen, um sich ein Urteil bilden zu können.

derStandard.at: Was war dann zu sehen?

Leichtfried: Einsichtig sind Verhandlungspositionen von EU-Seite durch die Kommission. Man kann sehen, wie sich diese Verhandlungspositionen im Laufe der Zeit entwickelt haben. Aber das war's dann auch schon.

derStandard.at: Entspricht die Position der Kommission aus Ihrer Sicht jener des EU-Parlaments?

Leichtfried: Das Europäische Parlament wird im Mai eine Resolution zu TTIP beschließen, mit der die Verhandlungsposition der Kommission meines Erachtens sehr eingeschränkt wird, insbesondere in den sehr kritischen Bereichen Investorenschutz und transatlantische legislative Kooperation. Es wird für die Kommission eine Herausforderung sein, ihre jetzige Richtung umdrehen zu müssen, wenn sie die Zustimmung des EU-Parlaments will. Und ohne diese geht es nicht.

derStandard.at: Und inhaltlich dürfen Sie nichts über Ihr Aktenstudium erzählen?

Leichtfried: Nein, ich darf nicht sagen, was da drinsteht. Das wäre auch unverantwortlich, in einem Stadium wie diesem, wo wir uns erstmals im breiteren Rahmen diese Dokumente ansehen dürfen, ist ein sorgsamer Umgang damit notwendig.

derStandard.at: Ist es nicht problematisch, dass nicht einmal Sie als Abgeordneter die Position der Amerikaner einsehen dürfen?

Leichtfried: Das ist meines Wissens eine Vorgabe der Amerikaner, damit diese mit der EU überhaupt in Verhandlungen treten. Sie verlangen außerdem sehr großflächige Überprüfungen der Geheimhaltung, die sie im Übrigen auch selbst vornehmen können. Das ist natürlich ein wenig eigenartig.

derStandard.at: Wer in Österreich kennt eigentlich die Verhandlungspositionen der Amerikaner? Bundeskanzler Werner Faymann als Mitglied des EU-Rates vielleicht?

Leichtfried: Es wird ja auch der Rat nur sehr eingeschränkt informiert. Wahrscheinlich bin ich einer der am besten informierten Österreicher, was die TTIP-Verhandlungen betrifft. Ich bin in informellen Kontakten sehr aktiv.

derStandard.at: Welche Knackpunkte sehen Sie im Bereich Lebensmittel?

Leichtfried: Wir wollen die chlorbehandelten Hühner nicht. Die Amerikaner wollen aber auch unsere nicht chlorbehandelten Hühner nicht. Das lässt sich politisch einfach lösen. Die Hühner bleiben zu Hause. Einer der Knackpunkte werden die geografischen Herkunftsbezeichnungen sein. Steirischer Kren kann nur aus der Steiermark kommen.

derStandard.at: Was ist im Verkehrsbereich heikel?

Leichtfried: Besonders kritisch sehe ich die Diskussionen um die öffentliche Daseinsvorsorge, ich glaube, es gibt sowohl auf USA- als auch auf EU-Seite den Versuch, den teilweise noch nicht liberalisierten Markt endgültig zu liberalisieren. Man muss unglaublich vorsichtig sein, dass das nicht geschieht.

derStandard.at: Die sozialdemokratische Fraktion im EU-Parlament scheint sich nicht einig darüber zu sein, was TTIP betrifft.

Leichtfried: Ich möchte, dass wir uns in der sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament darauf einigen, dass wir gegen das TTIP-Abkommen stimmen, sollte die Investitionsschutzklausel Teil des Abkommens sein. Spätestens im März werden wir das innerhalb der Gesamtfraktion diskutieren und beschließen. Ich sehe diesbezüglich aber keine großen Fronten, sondern eher einzelne Akteure, die sehr freihandelsorientiert sind.

derStandard.at: Wann könnte das TTIP-Abkommen aus Ihrer Sicht im EU-Parlament beschlossen werden?

Leichtfried: Das hängt im Wesentlichen von den Amerikanern ab. Die Frage ist, ob die Republikaner, die jetzt die Mehrheit im Repräsentantenhaus und im Senat haben, ihre unsinnige und unseriöse Blockadepolitik fortsetzen, um dem Präsidenten keine Erfolge mehr vor den Wahlen zu gönnen. Oder aber ob sie sich vor den Wahlen als seriöse Partner darstellen und TTIP bis Ende 2015 abschließen wollen. Sollte der Abschluss auf die Zeit nach den Wahlen in den USA vertagt werden, wird sich das über längere Zeit hinziehen.

derStandard.at: In Brüssel sagt man, Österreich sei jenes Land, das sich am stärksten gegen TTIP ausspricht. Erleben Sie das unter den Abgeordneten auch so?

Leichtfried: Neben Österreich ist TTIP in Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Belgien ein großes Thema. Das sind keine unbedeutenden Länder. Bei uns hat die Diskussion eine breitere Öffentlichkeit als in anderen Ländern. Es ist aber nur eine Frage der Zeit, bis das auf andere Länder übergreift.

derStandard.at: Ist diese Geheimniskrämerei um ein Freihandelsabkommen nicht auch ein wesentlicher Motivationsfaktor für den Widerstand?

Leichtfried: Die Kommission hätte sich viel an Widerstand erspart, wenn sie nicht so borniert und überheblich agiert hätte. Manche Verhandlungsdetails muss man nicht ausbreiten, aber beispielsweise die Grundüberlegungen des Rates hätte man von Anfang an darstellen müssen. Ich für meinen Teil halte mich an die Gesetze und Regelungen, was die Geheimhaltevorschriften betrifft. Aber ich werde hart daran arbeiten, damit sich diese Gesetze ändern, sodass ich in Interviews wie diesem auch Auskunft geben kann. (Katrin Burgstaller, derStandard.at, 10.2.2015)