Wien – Für Denise S. brachte der 6. September eine ziemliche Überraschung. Denn sie gebar plötzlich und aus heiterem Himmel ein Kind, behauptet sie zumindest vor Richterin Nicole Baczak im Wiener Straflandesgericht.

Das Kind gibt es, was strafrechtlich natürlich nicht relevant wäre. Die 24-Jährige hat das kleine Mädchen allerdings unmittelbar nach der Geburt auf einer Kellerstiege ihres Hauses abgelegt.

Die Richterin stellt die naheliegendste Frage: "Haben Sie nicht bemerkt, dass Sie schwanger sind?" – "Ich hatte einen Verdacht. Aber ich habe nichts zugenommen", hört sie als Antwort. Wobei: Die Angeklagte hätte schon Erfahrung gehabt, mit 17 bekam sie bereits ihre erste Tochter.

"Dann ist es schon losgegangen"

S. schildert die Situation so: "Am Freitag habe ich mich nicht gut gefühlt und bin in Krankenstand gegangen. In der Nacht habe ich mich auf dem WC übergeben, und dann ist es schon losgegangen."

Wirklich erklären kann sie die folgenden Ereignisse nicht. "Ich habe mir gedacht, sie kann nicht bei mir bleiben", und "Ich war in dem Moment völlig überfordert und in einem Schockzustand", bietet sie an.

Nachdem sie die Begleiterscheinungen der Geburt weggeputzt hatte, wickelte sie ihr Baby in T-Shirt und Weste, ging hinunter und legte es auf der Kellerstiege neben Baumaterialien ab.

"Ein paar Stunden später habe ich nachgeschaut, ob das alles wirklich passiert ist, aber da war das Kind schon weg", beschreibt sie weiter. Gefunden wurde es um 13.30 Uhr von einer Schülerin, die das Wimmern gehört hatte.

Immer wieder Schwangerschaftsverleugnung

Im Gegensatz zur Angeklagten hat die psychiatrische Sachverständige Sigrun Rossmanith durchaus eine Erklärung parat. "Die Schwangerschaftsverleugnung ist kein ganz seltenes Phänomen", sagt sie. "Es kommt in allen Schichten vor."

Die Angeklagte selbst habe eine schwere Kindheit gehabt, durch Disziplin hat sie sich aus dem Umfeld herausgearbeitet. Sie ist angestellt, besucht die Abendschule, will studieren. Beziehungsweise wollte, denn nach fünf Wochen bekamen sie und ihr Lebensgefährte die Kleine wieder zurück.

Für Expertin Rossmanith fehlt bei S. die "Beseelung des Körpers. Sie entkoppelt sich, handelt nur noch mechanisch. Bei den Frauen überwiegt die irrationale Angst vor der Existenzvernichtung." Diese Angst sei es auch, die den Gang zur Babyklappe fast unmöglich mache.

Keine Spätfolgen

Der medizinische Sachverständige führt aus, dass das Kind mit einem normalen Gesundheitszustand zur Welt gekommen und bei der Entdeckung leicht unterkühlt gewesen sei. "War es konkret gefährdet? Die Todesmöglichkeit kann man natürlich nicht ausschließen, aber es werden keine Spätfolgen bleiben", sagt er.

Auch der Vater des Kindes sagt als Zeuge aus. "Wann haben Sie erfahren, dass Sie Vater geworden sind?", interessiert sich Baczak. "Am Montag. Da war die Kripo da und hat gefragt, wo Denise ist, als sie aus der Abendschule gekommen ist, hat sie es mir gesagt."

Die Schwangerschaft der zierlichen Frau sei ihm davor nie aufgefallen. Auch am Wochenende nach der Geburt habe es nichts Außergewöhnliches gegeben. "Sie ist Samstag und Sonntag zwar nur herumgelegen, aber wir haben gemeinsam ferngesehen", erinnert er sich.

Verteidigerin Sonja Scheed versucht in ihrem Plädoyer darauf abzuzielen, dass ihre Mandantin im damaligen Zustand die Unrechtmäßigkeit nicht erkannt habe.

Außerordentliche Strafmilderung

Die Richterin folgt dem nicht und verhängt, nicht rechtskräftig, drei Monate bedingte Haft. Damit macht sie von der Möglichkeit der außerordentlichen Strafmilderung Gebrauch, denn die Mindeststrafe beträgt sechs Monate.

Ihre Begründung: Neben dem Geständnis und der Unbescholtenheit gesteht sie S. durchaus einen emotionalen Ausnahmezustand zu. Die Angeklagte bekommt auch eine Weisung zur Psychotherapie, die sie ohnehin schon begonnen hat. Von einem ist Baczak überzeugt: "Das ist etwas, was nur einmal im Leben passiert." (Michael Möseneder, derStandard.at, 10.2.2014)