Die zufriedensten Gesichter gab es bei den Wahlverlierern. "Die Sozialisten haben zwar um ein Haar gewonnen, doch der große Gewinner der Wahl ist der FN", posaunte Marine Le Pen, die Präsidentin des Front National (FN). Die rechtsextreme Formation verpasste am Sonntagabend im entlegenen Jura-Departement Doubs nur knapp einen Wahltriumph: Ihre Kandidatin Sophie Montel erzielte im zweiten Wahlgang 48,6 Prozent der Stimmen.

Gewählt wurde der Sozialist Frédéric Barbier mit 51,4 Prozent der Stimmen. Er rückt für Pierre Moscovici in die Nationalversammlung nach, da dieser in die Brüsseler EU-Kommission berufen wurde. Die Sozialisten zitterten seit Monaten um ihre Bastion. Seit der Wahl von Präsident François Hollande im Mai 2012 hatten sie ein Dutzend Nachwahlen gegen die Rechte verloren. Die Parti Socialiste (PS) kommt deshalb in der Nationalversammlung nicht mehr aus eigener Kraft auf die absolute Mehrheit von 289 Stimmen.

Aufatmen bei den Sozialisten

Bei der Nachwahl im Tal des Flusses Doubs hoffte sie auf einen "Charlie-Effekt": Nach dem Terroranschlag auf das Pariser Satireblatt hatte Hollande eine rundum gute Figur gemacht. Im ersten Wahlgang schied am Doubs denn auch der Kandidat der bürgerlichen "Union für eine Volksbewegung" (UMP) aus. Für die Stichwahl zwischen dem Sozialisten und der FN-Kandidatin gab die UMP von Nicolas Sarkozy nach massiven internen Spannungen die Weder-noch-Parole heraus. Das hieß so viel wie Stimmenthaltung oder Leereinlegen.

Allerdings hielten sich die wenigsten konservativen Wähler daran. In den ländlichen Gebieten gaben sie eher dem FN den Vorzug, in urbanen Gebieten wie Sochaux, dem Standort einer großen Peugeot-Fabrik, eher den Sozialisten. Am Sonntagabend berichteten alle großen Fernsehstationen aus dem französischen Randgebiet. Als das Resultat bekannt war, ging ein großes Aufatmen durch die PS-Reihen – und wohl bis ins Élysée, wo Hollande den Wahlabend live verfolgte.

FN an der Pforte zur Macht

Von Siegestaumel konnte aber keine Rede sein. "Gestern hat die PS gewonnen, doch es ist Feuer im Dach", erklärte Sozialistenchef Jean-Christoph Cambadélis am Montag. Obwohl Hollane seine populärsten Minister wie Manuel Valls oder Bernard Cazeneuve zum Wahlkampf an den Doubs abgeordnet hatte, kam die FN-Kandidatin, die ihm Wahlkampf kaum in Erscheinung getreten war, ihrem Sieg sehr nahe.

Und dieses Szenario kann sich bei den Präsidentschaftswahlen 2017 wiederholen. "Übertragen Sie das Resultat auf die nationale Ebene", warnte Cambadélis. "Das zeigt, dass Marine Le Pen Chancen hat, gewählt zu werden." Auch Premier Valls erklärte: "Der FN ist an der Pforte zur Macht. Er verkörpert die eigentliche Gefahr."

Schreckgespenst

So auch bei kommenden Urnengängen: Bei den Departementswahlen von März werden die Rechtsextremen noch durch das Wahlsystem benachteiligt, schätzt der FN-Experte Jean-Yves Camus. Bei den Regionalwahlen Ende dieses Jahres könne die Formation aber durchaus zuschlagen – als Hauptprobe vor den Präsidentschaftswahlen. Allerdings ist Marine Le Pen noch keineswegs im Élysée, obwohl sie sich selbst bereits dort sieht: Laut einer neuen Umfrage halten 65 Prozent der Franzosen den FN für unfähig, die Regierungsgeschäfte zu führen. Als Schreckgespenst dient der französische Frustwähler alleweil. (Stefan Brändle, derStandard.at, 9.2.2015)