Nach Schubert nun Rilke und Heine: Sängerin Lia Pale.

Foto: Schneider

Wien - Nach einigen Stücken kam von der Bühne des Porgy & Bess die heitere Entschuldigung: "Es fällt mir gerade auf, dass ich Sie noch gar nicht begrüßt habe - aber wenn man sehr viel Zeit mit einem Schweizer Uhrwerk verbringt ...", witzelt Lia Pale und meint damit jenen Mann am Klavier, Mathias Rüegg also, der für die Kompositionen des Abends verantwortlich zeichnet.

Sie sind auf my poets love zu hören, der neuen CD von Pale. Und sie markieren das zweite Kapitel der Zusammenarbeit zwischen der jungen oberösterreichischen Sängerin mit dem delikat-charmanten Timbre und dem ehemaligen Chef des Vienna Art Orchestra, das leider nicht mehr existiert. Begonnen hat alles an der Wiener Hochschule, wo Rüegg Studenten in Komposition und Analyse unterwies und auf Pale traf:

"Ich habe Rüegg schon mit 18 bezüglich des Vienna Art Orchestra angemailt. Er hat aber nie zurückgeschrieben und hat sich auch nicht mehr daran erinnern können." Aus der Hochschulbekanntschaft jedoch wurde ein Projekt: Rüegg hört Pales Stimme und entdeckt deren offensichtliche Besonderheit. Und: Was schließlich nach reichlich Vor- und Grübelarbeit folgt, wird denn auch in Europa zum veritablen Erfolg: Mit Schuberts Liederzyklus Winterreise zeigen Rüegg und Pale, dass dieses Klassikmonument in einer verjazzten Version durchaus Zugänglichkeit und Anspruch vereinen kann.

Für Pale war es allerdings ein ziemlicher Sprung, das Ganze auch live zu präsentieren - die Bühne musste als Darstellungsraum erst erobert werden: "Leichtigkeit ist nur durch regelmäßige Auftritte zu erlangen. Das kann durch nichts ersetzt werden. Ich mag die Bühne, man ist frei und verwundbar zugleich. Bis ich die Situation genießen konnte, bis die Spannung, die man verspürt, nicht mehr lähmte, sondern zur Energie wurde, das hat gedauert."

Die Bühne erobern

Da habe es "richtige Schübe an Nervosität gegeben - auch mitten in Konzerten und nicht nur zu deren Beginn, was ja normal wäre. Vor zwei Jahre bei der Premiere im Porgy dachte ich, es haut mich um. Das fühlte sich gar nicht gut an, aber die Kollegen haben geholfen. Es ist jedenfalls wichtig, sich auf der Bühne Zeit zu lassen", so Pale, die im Porgy tatsächlich entspannt und flexibel wirkt, obwohl die delikate Musik durchaus heikel wirkt. Rüegg hat auf Basis von Gedichten der Klassiker Rainer Maria Rilke und Heinrich Heine Lieder ersonnen, die voll überraschender Episoden und kleiner formaler Abenteuer sind. Man glaubt in ihnen bisweilen regelrecht, als Kammermusik getarnte Big-Band-Arrangements zu hören.

Wenn's nach Pale ginge, könnte das auch eine Richtung sein, in die es in Zukunft weitergehen könnte. "Die Winterreise für großes Orchester? Das kann ich mir vorstellen, und ich denke, Rüegg denkt auch darüber nach. Ich hätte natürlich auch gerne, dass er eine Jazzoper schreibt."

Man wird sehen. Faszinierend fand sie jedenfalls, "wie schnell Rüegg arbeitet. Die neuen Songs sind ja teilweise in absurde Formen gepackt, regelrecht Suiten. Doch während ich ewig über einen Text gebrütet habe, meldete er sich vier Stunden, nachdem ich ihm den Text geschickt hatte und meinte: Das Lied sei fertig, könnte man jetzt bitte proben. Das war für mich anstrengend und heftig. Und ich war sicher auch anstrengend." Allerdings gilt auch: "Wenn man so viel zusammenarbeitet wie wir, bewertet man die Hochs und Tiefs gar nicht mehr." (Ljubisa Tosic, DER STANDARD, 9.2.2015)