Ausufernder Lebensstil und Verschwendung: Christian Bale in Terrence Malicks mit Spannung erwartetem "Knight of Cups".

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"Starke Frauen in extremen Situationen" hatte Festivaldirektor Dieter Kosslick im Vorfeld als Berlinale-Motto ausgerufen. Solche plakativen Hervorhebungen verengen bloß den Blick. Viel lohnender ist es, über Arbeitsweisen nachzudenken: Das klingt zwar weniger werbetauglich, kommt der Diversität an filmischen Herangehensweisen dieser 65. Berlinale jedoch gleich viel näher.

Der Schauspieler und Regisseur Sebastian Schipper hat mit Victoria etwa einen Film in einer einzigen Einstellung gedreht, die durch eine tragisch verlaufende Nacht in Berlin führt. Ein "Stunt", der trotz der so wendigen Kamera von Sturla Brandth Grøvlen etwas vordergründig bleibt. Und zwar deshalb, weil die formale Entscheidung schon einen gewissen Überhang an Dramatik bedingt. Es muss einfach zu viel passieren, damit sich das auszahlt.

Victoria (Laia Costa), die Titelheldin, ist eine junge Spanierin in Berlin, die sich nach einem Clubbesuch einer Gruppe einheimischer Jungs anschließt. "Sonne" heißt der, zu dem sie das größte Vertrauen fasst. Frederick Lau verleiht ihm eine wilde, hochsensible Präsenz. In der ersten Hälfte des Films verharrt Schipper auf Augenhöhe mit den Jugendlichen, fasst ihre Gesten, ihre halbbetrunkenen Reden ins Bild; in der zweiten stürzt er sich dann in ein Genrestück. Doch um beides zusammenzubringen, braucht man einigen guten Willen: Die "suspension of disbelief", das Vergessenmachen mancher Unglaubwürdigkeit, das mag nicht in jeder Hinsicht gelingen.

Sitzt Schippers Konzept zu eng, so erlaubt sich Terrence Malick in seinem mit Spannung erwarteten Knight of Cups fast zu große Freiheiten. Die jüngeren Arbeiten des US-Amerikaners entstehen alle ohne Drehbuch; nicht einmal die beteiligten Schauspieler wissen so genau, welche "Figur" sie eigentlich darstellen. Ihre zunehmend offene, lyrische Form finden die Filme erst am Schneidetisch. Knight of Cups, das ist der "Ritter der Kelche" nach der gleichnamigen Tarotkarte: Malick sieht in ihr einen Träumer und Königssohn, der sein Ziel aus den Augen verloren hat. Konkret wird die Figur anhand eines Schauspielers (Christian Bale), den wir allerdings nie bei der Arbeit sehen. Malick geht es um seinen ausufernden Lebensstil, dem er die Anmutung der Verschwendung verleiht. Die Schwester der Lust, des Exzesses, das ist hier wieder einmal die Entfremdung.

Die rastlose Kamera

Dennoch versucht sich Malick dieser Welt, die er selbst immer verschmäht hat, anzuverwandeln. Immer wieder taucht die rastlose Kamera von Emmanuel Lubezki in Pools, tastet die Oberflächen von Häusern und Körpern ab, schweift durch Partys und Ausschweifungen; und zugleich strebt der Blick über all dies hinaus, propagiert eine Einkehr, ein Erwachen aus dem Traum, der sich jedoch nicht einstellen will. Malicks Filme haben stets widerstreitenden Bewegungen Ausdruck verliehen. Knight of Cups ist jedoch nur noch ein assoziativer Reigen: ein L.A.-Film, der seine Figur wie eine lose Halterung braucht; bei aller visuellen Pracht gerät dies ein wenig monoton. Das Auf-der-Stelle-Treten wird von keiner neuen Idee mehr getrübt.

Material zu sammeln und diesem erst später eine Form zu verleihen, diese Praxis verfolgt auch der Österreicher Nikolaus Geyrhalter mit Über die Jahre. Es handelt sich um den selten gewordenen Fall eines Langzeitdokumentarfilms, der 2003 in einer Textilfabrik im nördlichen Waldviertel seinen Ausgang nimmt und die dort wirkenden Arbeiterinnen und Arbeiter über einen Zeitraum von zehn Jahren begleitet.

Das rührend altmodische Unternehmen ist freilich schon ganz zu Beginn des Films in die Jahre gekommen. So wird dieses von seiner Nähe zu den Protagonisten getragene Projekt zur Beschreibung von Lebensläufen in einer Region, in denen Arbeit keine tragende, das Leben strukturierende Säule mehr ist. Jeder schlägt sich auf seine eigene Weise durch. Der eine sucht in skurrilen Hobbys Zuflucht vor der Fülle an Zeit. Die andere hat jedes Mal, wenn der Regisseur zu Besuch kommt, schon wieder einen anderen unsicheren Job übernommen.

Geyrhalter hat bisher vor allem Filme gedreht, die über Individuen hinauszielten, größere, abstraktere Zusammenhänge ins Visier nahmen. Über die Jahre ist seine bisher persönlichste Arbeit, in der er zwar nicht selbst zum Protagonisten wird, aber als Gegenüber immer anwesend bleibt. Daraus resultiert eine Nähe, die auch auf die Bilder und das Verhältnis zu den Figuren abfärbt. Der Waldviertler ist zwar generell kein auskunftsfreudiger Mensch. Doch Geyrhalter gelingt es, beredte und oft auch von Komik durchzogene Porträts zu fertigen, in denen auch die gesellschaftlichen Umwälzungen nachhallen. (Dominik Kamalzadeh aus Berlin, DER STANDARD, 9.2.2015)