Marktforschung mittels Blickerfassung: Mit speziellen Brillen ausgestattete Supermarktbesucher erlauben neue Einblicke in unsere unterbewussten Kaufentscheidungen.

Foto: Tobii Technology
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Pizza à la Eye-Tracking: Die Zutaten werden danach ausgewählt, auf welchen Symbolen die Augen des Gastes am längsten verharren.

Foto: Tobii Technology

Wien - Viele kennen das Gefühl: Man sitzt in einem Restaurant, blickt in die Speisekarte und weiß nicht so recht, was man bestellen soll. Die Fast-Food-Kette Pizza Hut will dieser Unentschlossenheit mit der ersten "unterbewussten Speisekarte" ein Ende bereiten. Statt einer Speisekarte erhält der Kunde ein Tablet mit integrierter Kamera, auf dem ihm Bilder verschiedener Zutaten präsentiert werden.

Mithilfe einer Eye-Tracking-Technologie wird die Präferenz des Kunden ermittelt: Je nachdem, auf welches Symbol der Gast am längsten schaut, wird eine Pizza nach seinem Gusto kreiert. Die Software registriert kleinste Veränderungen der Netzhaut. Innerhalb von 2,5 Sekunden soll das "Subconscious Menu" dann die bevorzugten Zutaten des einzelnen Gasts erkennen können. Ein Algorithmus stellt aus 4896 möglichen Kombinationen die perfekte Pizza zusammen.

Entwickelt wurde das System von der schwedischen Firma Tobii Technology, die sich auf Eye-Tracking-Systeme spezialisiert hat: Technologien, die Daten über die Position des Auges, Blickrichtung und Bewegung gewinnen. Tobii produziert Hardware und Software, die diese Bewegungen analysieren.

Deren Einsatzmöglichkeiten beschränken sich nicht allein auf Restaurantketten. Auch Supermärkte interessieren sich für unsere Blicke. Mit Eye-Tracking-Brillen kann festgestellt werden, wohin Kunden schauen und wo ihre Blicke hängenbleiben. Wie vergleichen sie Preise? Worauf fällt der Blick zuerst? Sogenannte "Heat Maps" visualisieren die Bereiche, auf die ein Kunde schaut.

Einblicke ins Kaufverhalten

Durch die Aufzeichnung unseres Blickverhaltens können wertvolle Einblicke in die Entscheidungsprozesse der Konsumenten gewonnen werden. Zögern sie, wenn sie das Produkt in den Einkaufswagen legen? Wie fällen sie die Kaufentscheidung?

Blicke verraten mehr als Umfragen von Marktforschungsinstituten. Eye-Tracking ist vor allem für die Regalgestaltung relevant, denn die Ware darauf wird nach allen Regeln der Verkaufspsychologie einsortiert. Forscher schätzen, dass 70 Prozent der Kaufentscheidungen ungeplant sind und erst im Laden fallen. Das wissen die Supermarktbetreiber weidlich auszunutzen. Für sie ist die Blickerfassung ein probates Mittel, die Präferenzen ihrer Kunden noch besser zu analysieren.

Doch die Vorstellung, dass eine Kamera unsere Gedanken liest, ist unheimlich. Augen sind etwas sehr Persönliches, das Tor in unser Innenleben. "Eye-Tracking ermöglicht tiefe Einblicke ins Unterbewusstsein", sagt auch der Marketingprofessor Jesper Clement von der Copenhagen Business School. Psychologische Experimente zeigen, dass sich Menschen oft gar nicht bewusst sind, wohin sie schauen.

Eine offene Frage ist, was mit den Daten passiert. Tobii betont, dass die Analyse in Echtzeit erfolge und keine Daten gespeichert würden. John Villasenor, Professor für Elektroingenieurswesen an der University of California, Los Angeles (UCLA), schreibt: "Ist die Eye-Tracking-Technologie erst einmal eingesetzt, sammelt sie nicht nur Informationen über das, was wir lesen, sondern auch darüber, wie wir es lesen."

Kameras hinter Regalen

Hierzulande basiert die Technik noch auf dem freiwilligen Einsatz von Probanden. Doch in den USA werden bereits versteckte Kameras hinter den Regalen installiert. So nutzt die Kaufhauskette Walmart ein System namens Shopperception, das Kunden mit Kameras und Bewegungsmeldern lokalisiert und ihre Augenbewegungen aufzeichnet.

Samsung hat eine zweite Generation der Eye-Tracking-Technik Eyecan vorgestellt: Eyecan+ erkennt die Augenbewegung des Anwenders, ohne dass dieser eine Brille tragen muss. In seinen Galaxy-Smartphones hatte Samsung bereits eine - wenngleich weitaus simplere - Eye-Tracking-Funktion eingebaut. Sie sollte zum Beispiel feststellen, ob der Anwender noch auf den Bildschirm schaut, um Strom zu sparen.

Künftig könnte es möglich sein, dass die Algorithmen erkennen, welchen Punkt der Nutzer auf dem Display fixiert. Wenn man ein Bild der Sängerin Beyoncé länger als drei Sekunden anschaut, könnte es sein, dass prompt ein Werbebanner für das nächste Beyoncé-Album aufpoppt. Die Werbeindustrie frohlockt.

Zuletzt hat Tobii auch eine Studie in einer Stockholmer U-Bahn-Station durchgeführt, um den Einfluss von digitalen Werbetafeln zu messen. 40 Reisende wurden mit einer Eye-Tracking-Brille ausgestattet und auf ihrem Weg zum Zug begleitet. Das Ergebnis: 95 Prozent der Probanden beachtete mindestens eine Anzeigentafel.

Die Technik sei noch unausgereift, sagt Kenneth Holmqvist, Psychologieprofessor an der Universität Lund und Vorsitzender der Eye Movement Researchers Association: "Es gibt noch substanzielle Herausforderungen. Die Interpretation von Sequenzen der Augenbewegungen ist nicht trivial und erfordert weitere wissenschaftliche Untersuchungen."

Blicke und Interessen

Das Hauptproblem bleibt die Kalibrierung - also die Ausrichtung der Kamera auf die Pupille. Zudem mag ein Kunde ein Objekt zwar fokussieren, das heißt aber nicht zwingend, dass er auch daran interessiert ist. Wer bei Pizza Hut auf das Pilzsymbol starrt, bekommt dann höchstwahrscheinlich eine Pizza mit Pilzen vorgesetzt, obwohl dieser Gast Pilze vielleicht gar nicht mag. Selbst die beste Technik vermag uns unsere Wünsche nicht von den Augen abzulesen - jedenfalls noch nicht heute. (Adrian Lobe, DER STANDARD, 7.2.2015)