Sarajevo – Zwei weiße Fahnen mit den Symbolen der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) ragen links und rechts unter dem Dachfirst hervor. Eine schwarze IS-Flagge prangt in der Mitte des halb verputzten Hauses in der Wahhabiten-Gemeinde Maoca in Nordbosnien. Am Donnerstag rückte die Sonderpolizei Sipa wieder einmal zur Razzia in den Ort aus, der seit vielen Jahren als Zentrale der Wahhabiten auf dem Balkan gilt.
Neben den vielen Traumatisierungen in den Postkriegsstaaten Bosnien-Herzegowina und Kosovo spielt auch die Armut den Rekrutierern in die Hände. "Hier sind über 80 Prozent ohne Arbeit. Es gibt nur eine Ziegelei und eine Mühle aus Titos Zeiten, aber sonst keine Investitionen", sagt der Lehrer Xhevat Suhogërlla aus dem kosovarischen Skenderaj. "Manche Leute sehen nur zwei Möglichkeiten: Entweder man geht nach Ungarn und sucht um Asyl an, oder man geht nach Syrien." Er habe gehört, dass den Leuten bis zu 5000 Euro angeboten würden, wenn sie für die IS kämpften.
Vor ein paar Jahren war in der Nähe von Skenderaj in dem Dorf Marina aufgefallen, dass schon junge Mädchen plötzlich verschleiert herumliefen. Jugendliche wurden in die Türkei in die Koranschule geschickt. Mittlerweile wurde der zuständige Imam nach Albanien zurückgeschickt. In der Gegend fallen die vielen Denkmäler für die Kosovo-Befreiungsarmee UÇK auf: Bilder von Männern mit Gewehren. Hier war der Krieg besonders schlimm.
Schlechte Bildung
Lehrer Suhogërlla glaubt, dass auch das Bildungssystem im Kosovo damit zu tun hat, dass es zu Radikalisierungen kommt. "In jugoslawischer Zeit mussten wir Albaner ein paralleles Schulsystem im Untergrund aufbauen, viele wurden damals nicht so gut gebildet, und die sind jetzt das 'Material' für die Extremisten. Später nach dem Krieg sind diese arabischen NGOs gekommen und sind in das Bildungsvakuum hinein."
Überall auf dem Balkan erzählt man die gleiche Geschichte: Die Leute würden von ausländischen NGOs dafür bezahlt, dass sich die Männer lange Bärte wachsen ließen und die Frauen verschleiern. Wenn man nachfragt, gibt es dafür keine Beweise. Sicher ist, dass in den 1990ern arabische Hilfsorganisationen hierherkamen und einen Missionsauftrag mitbrachten. Auch manche der Männer in dem mazedonischen Dorf Oktisi, die sich im Kaffeehaus zum Spielen treffen, glauben "dass die Wahhabiten hier vom Ausland bezahlt sind". "Das ist nur eine Version", sagen ein paar andere. "Jedenfalls sind das noch keine Terroristen, nur weil sie Bart tragen."
In Oktisi leben Torbeschen, Muslime, die mazedonisch sprechen und als Minderheit zwischen den christlich-orthodoxen Mazedoniern und den muslimischen Albanern kein leichtes Leben haben. Mehr als die Hälfte der Leute hier arbeitet im Ausland. Die Häuser sind riesig, aber leer. An manchen Wänden hängen Maisstriezel. "Die Albaner wollen, dass wir für sie wählen, und die Mazedonier auch", sagen die Männer. "Wir selbst sind als Volksgruppe ja nicht anerkannt, bei der letzten Volkszählung haben wir angegeben, dass wir Türken sind."
In den Torbeschendörfern ist es nicht die Armut, sondern Identitätsfragen, die anfällig für radikalen Islam machen. Denn das Hauptidentitätsmerkmal ist die Religion. Der Mann in den weißen Kleidern in der Moschee ist weniger freundlich. Er kontrolliert die Kamera. "In Österreich hat man eine Kampagne gegen die Muslime begonnen. Wir sind jetzt vorsichtig", sagt er und spielt offensichtlich auf die Verhaftungen an.
Kein Tropfen Alkohol
Besonders viele Männer mit langen Bärten und kurzen Hosen gibt es in Labunishta. In dem Ort mit 10.000 Einwohnern gibt es keinen Tropfen Alkohol zu kaufen. Auch der Imam, Orhan Zengo, ein Albaner aus Skopje, räumt ein, dass die Leute hier "sehr religiös" seien. Auf dem Hauptplatz weht eine albanische Flagge. Zengo meint, dass "hier Albaner leben". Wer sich als Torbesche bekennt, kann wohl weniger von der herrschenden Albanerpartei DUI erwarten. "Das Problem ist: Wenn du sagst, du seist Mazedonier, dann glauben alle, du seist orthodox. Also sagen jetzt viele, sie seien Albaner", erklärt der Verkäufer in dem Lebensmittelladen.
Und die langen Bärte? "Die tragen die, weil sie sich davon einen Vorteil erwarten. Sie glauben, sie bekommen dann eher einen Job", sagt der etwa 30-Jährige. "Manche sind wirklich so religiös, manche wollen das nur ausnutzen." (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, DER STANDARD, 6.2.2015)