Tunis/Madrid - Tunesiens Parlamentarier ließen am Mittwoch Volk und Journalisten warten. Die wegen der großen Mehrheit der Fünf-Parteien-Koalition als sicher geltende Zustimmung der Kammer verzögerte sich, weil insgesamt 136 Abgeordnete Redebeiträge angemeldet hatten.

Der Pakt umfasst die bei den Wahlen im vergangenen Herbst siegreiche säkulare Partei Nidaa Tounes (Ruf Tunesiens) und die islamistische Ennahda (Erneuerung). Daneben sind auch drei kleinere liberale Parteien im gemeinsamen Kabinett unter dem 65-jährigen Unabhängigen Habib Essid vertreten. Dieser war von Staatspräsident Béji Caïd Essebsi, der auch Chef der Nidaa Tounes ist, nach dem Sieg bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Jänner mit der Regierungsbildung beauftragt worden. Essid gilt als enger Vertrauter Essebsis.

Die fünf Koalitionspartner verfügen zusammen über eine Parlamentsmehrheit von 179 der 217 Abgeordneten. Auch wenn sich bei Nidaa Tounes Stimmen meldeten, die gegen einen Pakt mit den Islamisten waren, wurde davon ausgegangen, dass jene für die Koalition bei weitem überwiegen würden. Die Partei hatte das Thema "säkulare gegen religiöse Politik" im Wahlkampf genutzt, um weite Teile der Gegner der Islamisten um sich zu scharen.

Zweiter Anlauf

Es ist der zweite Anlauf Essids, eine Regierung zu bilden. Die erste Kabinettsliste bestand nur aus säkularen Politikern und Unabhängigen. Sie wurde dem Parlament nicht vorgelegt, da neben der linken Opposition auch Ennahda ankündigte, mit Nein zu stimmen. Eine Mehrheit war damit fraglich. Eilig wurde nachverhandelt. Essid nahm Ennahda-Politiker Zied Ladhari als Arbeitsminister ins Kabinett. Auch wurden zwei Islamisten Staatssekretäre.

Essid selbst ist ein altgedienter Politiker, unter Diktator Zine el-Abidine Ben Ali war er in mehreren Ministerien Kabinettschef. Sein Kabinett besteht aus 27 Ministern und 14 Staatssekretären, es ist betont technokratisch gestaltet. Es sitzen Gewerkschafter am Tisch, aber auch ein Gründungsmitglied der tunesischen Amnesty International. Mehrere Minister waren allerdings, so wie Essid selbst, unter Ben Ali bereits aktiv, meist aber nicht in politischen Posten, sondern im technischen Apparat verschiedener Ministerien. Im Kabinett sitzen nur drei Frauen als Ministerinnen. Fünf weitere wurden als Staatssekretärinnen berufen. (Reiner Wandler, DER STANDARD, 5.2.2015)