Ich gehe so gern in die Schule, sagte die fünfzehnjährige Evi. Und ihre Freundin Pauline fügte hinzu: Meine Tutorin habe ich richtig lieb. Die beiden Berliner Schülerinnen waren gemeinsam mit ihrer Direktorin Margret Rasfeld zu Besuch in Wien, um zu berichten, wie eine Schule im 21. Jahrhundert auch funktionieren kann. Nämlich ganz anders als gewohnt. Margret Rasfeld ist eine kleine, quirlige Person, Leiterin einer evangelischen Gemeinschaftsschule und Mitbegründerin einer Initiative namens "Schule im Aufbruch". Ihr Credo: Wenn Kinder und Jugendliche mit Begeisterung lernen, entfaltet sich ihr Potenzial ungleich besser als mit Angst und Druck. Überflüssig zu sagen, dass ihre Schüler hervorragende Ergebnisse bringen.

Und wie machen das die Berliner? In Rasfelds Schule gibt es keine Noten, zu den Prüfungen treten die Schüler an, wenn sie nach eigener Einschätzung dazu bereit sind. Der Stoff wird eigenständig erarbeitet, die Lehrer treten nur in Aktion, wenn etwas unklar ist. Jeder hat einen Tutor, den er oder sie jede Woche zu einem Gespräch trifft. Jeder Donnerstag ist Projekttag. "Verantwortung" und "Herausforderung" sind Pflichtfächer. Evi hat im Fach "Verantwortung" im Kindergarten einen Tanzkurs organisiert, Pauline in "Herausforderung" eine Fußwanderung nach Hamburg absolviert, mit 150 Euro in der Tasche. Beide sagen, sie hätten dabei mehr gelernt als im ganzen Schuljahr. Und in der Oberstufe gibt es jeweils einen dreimonatigen Auslandsaufenthalt. Der versäumte Stoff wird, sagen Direktorin und Schülerinnen, im Restjahr "locker" aufgeholt.

Umgang mit Vielfalt, ethnischer wie sozialer, ist ein Schlüsselthema. Wenn Einheimische und Migranten, Hochbegabte und weniger Begabte, Gesunde und Behinderte zusammen lernen, hilft das beiden. Ein Starker, der einem Schwachen etwas erklärt, profitiert selber. Dabei sinkt das Niveau laut Rasfeld nicht, sondern es steigt.

Ginge so etwas auch in Österreich? Hierzulande klagen alle über die Bildungsmisere. Dass Reformen nötig sind, sieht mittlerweile jeder. Aber Ministerium und Lehrergewerkschaft stehen einander unversöhnlich gegenüber. Blockade, und das seit Jahrzehnten. Der Wiener Mathematik- und Musiklehrer Daniel Landau, Sprecher der Initiative "Jedes Kind", meint, das müsste nicht sein. Statt sich in den ewigen Ideologiestreit Gymnasium oder Gesamtschule zu verbeißen, könnte man sich auch zusammensetzen und gemeinsam überlegen: Was ist am besten für die Kinder? Auch Margret Rasfeld sagt, man könne ein gewachsenes System nicht von heute auf morgen von Grund auf reformieren. Aber kleine Schritte machen, Best-Practice-Modelle in die Auslage stellen, immer das Gesamtziel vor Augen. Die Berlinerin ist oft in Österreich, sie hat hier nach eigener Aussage eine Menge engagierter Lehrer getroffen und gute Schulen gesehen.

Der Abend vergangener Woche in der Wiener Albertina gibt ihr recht. Im überquellend vollen Saal drängten sich Lehrer aus ganz Österreich und applaudierten enthusiastisch. An ihnen scheint es jedenfalls nicht zu liegen, wenn in Sachen Bildungsreform hierzulande nichts weitergeht. Inzwischen machen auch zivilgesellschaftliche Gruppen wie "Jedes Kind" und "Bildung grenzenlos" Druck auf die Offiziellen. Irgendwann, darf man hoffen, werden sie Erfolg haben. (Barbara Coudenhove-Kalergi, DER STANDARD, 5.2.2015)