Da stehen sie auf einem Bein, den Fischen auf der Schliche, und stochern im Wasser nach einem schuppigen Abendessen. "Ich weiß, für einen Außenstehenden sieht es umständlich aus, so zu fischen", sagt Aung Htwe Lwin. "Aber tatsächlich sind wir auf diese Art und Weise freier und beweglicher." Der 27-Jährige ist Fischer, sogenannter Einbeinruderer, eine Art Gondoliere des Ostens, und verpflegt damit seine Familie. Das Zubrot verdient er sich, wie so viele hier, als Guide für Touristen. Aung ist einer von rund 70.000 Intha, einer tibetobirmanischen Ethnie, die rund um den Inle-See lebt.

Ein Einbeinruderer am Inle-See
Foto: Wojciech Czaja

"Sehen Sie den Bambuskorb? Der ist genauso hoch, wie der See tief ist. Zuerst stelle ich ihn ins Wasser und warte, bis an der Wasseroberfläche Bläschen zu sehen sind. Dann weiß ich, dass Fische hineingeschwommen sind, lasse das Netz fallen und ziehe es mit den Metallringen zu." Das mit dem Bein eingeklemmte Ruder erlaubt ihm, eine Hand frei zu haben und dennoch manövrierfähig zu sein. Ob er vielleicht ein Lieblingsruderbein habe? "Aber nein, es muss jedes Bein drankommen. Das ist gut für die Balance."

Das Gesetz des Schwimmens

Der Inle-See ist das kulturelle Herz des Shan-Staates. Während sich die Shan-Völker bis an die thailändische und laotische Grenze Burmas im Osten erstrecken, wo sie in kleinen Dorfgemeinschaften hoch oben um Reisterrassen leben, herrscht hier unten das Gesetz des Schwimmens. Der gesamte Lebensalltag spielt sich auf dem 22 Kilometer langen und bis zu elf Kilometer breiten Inle-See ab: Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Verkehr, ja sogar Ackerbau.

An manchen Stellen kommen die Ruderer kaum vorwärts, weil sich die Ruder in den Lotusblumen und Wasserhyazinthen verfangen.
Foto: Wojciech Czaja

Rund 30 verschiedene Fischarten sind im See beheimatet, wobei der Graskarpfen, der in der See- und Sumpfhauptstadt Nyaung Shwe überall aufgetischt wird, am häufigsten zu finden ist. Anders als seine heimischen Artgenossen wurde der Graskarpfen schon vor Jahrhunderten künstlich im See angesiedelt. Mit gutem Grund, wie Aung erzählt: "Der See ist nur zwei bis drei Meter tief und mit so vielen Algen, Lotusblumen und Wasserhyazinthen bewachsen, dass er ohne Graskarpfen wohl schon längst versumpft wäre." An manchen Stellen, das Ruder klemmt in grünen Schlingen, könne man sich kaum noch fortbewegen. Die kräftigen Oberschenkel tun gute Dienste.

Schwimmende Gärten

Die Intha, die "Söhne des Sees", wie sie auf Burmesisch heißen, wären nicht die Intha, wenn sie sich die Not der üppigen Seevegetation nicht zur Tugend gemacht hätten. In der Nähe von Kay Lar befindet sich, mitten im See, der Gemüsesupermarkt der Region. In schwimmenden Gärten, die an der Wasseroberfläche treiben, gedeihen Tomaten, Gurken, Auberginen, Bohnen, Blumen und Salat. Aung rudert in eine der dünnen Gassen zwischen den oft mehr als 100 Meter langen, aber nur einen Meter breiten Gartenstreifen: "Tomate gefällig?"

Wohnen auf dem Wasser

Was sich zunächst kompliziert anhört, ist angesichts der Versumpfung rund um den Inle-See die naheliegendste Versorgungsmöglichkeit mit frischem Obst und Gemüse: Dafür werden auf einen Teppich aus Wasserhyazinthen so lange Schichten von Schlamm und weiteren Hyazinthen aufgetragen, bis sich ein rund ein Meter dicker, schwimmender Humuskoffer gebildet hat. Das dauert Jahre. Mittels Bambuspfählen wird dieser auf dem Seeboden befestigt. "Einen nährstoffreicheren Boden gibt es nicht", meint Aung, "und außerdem erleichtert uns das den Transport, denn die meisten Intha wohnen ja auf dem Wasser."

Das Webstuhlgeklapper ist aus den geöffneten Fenstern weit zu hören, klack-klack, klack-klack.
Foto: Wojciech Czaja

19 Pfahldörfer gibt es im Inle-See. Manche davon bestehen aus wenigen Holzhäusern, die wie windschiefe Storchennester auf wackeligen Pfählen balancieren, andere sind stattliche Orte mit Tempeln, Pagoden, Postamt und Wochenmarkt. Eines dieser schwimmenden Dörfer ist Inpaw Khon am westlichen Ufer. Hier, am Manufacturing Belt des Inle-Sees, reiht sich eine Weberei an die nächste.

Eine Lotusblüte
Foto: Wojciech Czaja

Das Webstuhlgeklapper ist aus den geöffneten Fenstern weit zu hören, klack-klack, klack-klack. Auch dieses Gewerbe hat sich die Vegetation seiner Heimat zunutze gemacht. "Haben Sie schon einmal Lotuswurzeln gegessen?", fragt Daw Then Hla. Die 53-Jährige sitzt seit 32 Jahren am Webstuhl, ist so etwas wie die Senior-Chefin der Lotusweberei Myat Pwint Chel und eine von rund 500 Weberinnen, die am See arbeiten. "Dann kennen Sie sicherlich diese langen, klebrigen Fasern, die auf ihren Lippen kleben bleiben. Genau das ist unser Ausgangsstoff."

Feinste Fasern

Myat nimmt einen Lotusstängel, bricht ihn einige Zentimeter vom Ende ab, zieht die beiden Hälften auseinander und legt die glitzernden Lotusfäden frei. Mit drei bis maximal fünf Mikrometern Durchmesser sind dies die angeblich feinsten natürlichen Fasern. Myat legt sie auf eine Holzplatte und reibt sie zu einem dünnen Faden, der dann zu einem etwas stärkeren Garn gesponnen wird. Textile Alchemie.

Beim Zerbrechen gibt der Lotusstängel seine glitzernden Fäden frei.
Foto: Wojciech Czaja

Im Raum nebenan werden die Fäden einen ganzen Tag lang mit Baumrinde gekocht und auf diese Weise eingefärbt. "Die Rinde vom Mangobaum ergibt einen rotbraunen Faden, die vom Jackfruit-Baum einen dunkelbraunen", lernt man im Fadenfärber-Crashkurs. Vier bis fünf Kochvorgänge sind nötig. "Am liebsten aber belassen wir die Lotusseide natürlich. Wichtig ist nur, dass wir das Garn mit Reisstärke behandeln und den eingesponnenen Faden am Webstuhl immer wieder benetzen, damit er nicht bricht."

Foto: Wojciech Czaja

Für einen Meter Stoff, der an ein Gemisch aus Leinen und Rohseide erinnert, werden zwischen 10.000 und 13.000 Lotuspflanzen benötigt. Die Arbeitszeit dafür beträgt eine Woche. Selbstredend also, dass ein Halstuch vom Inle-See selbst für westliche Verhältnisse nicht zu den billigsten Souvenirs zählt. Auf größeren, dichter gewobenen Stücken ist schon mal ein vierstelliger Eurobetrag zu finden.

Kein Schal also. Der Tag wird mit gegrilltem Graskarpfen enden, dazu Fischsauce und büschelweise bittere Kräuter. Der Weg zum Nachtmahl ist flankiert von meterhohen Bambusreusen, auf der Wasseroberfläche glänzen nur noch wenige Silhouetten im Gegenlicht, ein Bein im Boot, ein Bein in der Luft. In der Seestadt gehen die Lichter aus. (Wojciech Czaja, Rondo, DER STANDARD, 6.2.2015)