Bild nicht mehr verfügbar.

Die Biopsie eines Speiseröhrenkrebses unter dem Elektronenmikroskop: Bei der Entwicklung der Erkrankung wird das Protein p53 außer Kraft gesetzt sein. Es schützt die DNA. Verliert es diese Funktion, wirkt die Chemotherapie nicht. Entscheidend dafür scheint der Zeitpunkt der Diagnose zu sein.

Foto: ANTONIO ROMERO / Science Photo Library / picturedesk.com

Daniela Kandioler will Krebstherapie verbessern.

Foto: Heidrun Henke

Wien – Am Mittwoch ist Weltkrebstag und Anlass, die Toten zu zählen. Die Statistik zeigt seit 45 Jahren ähnliche Zahlen. Starben 1970 noch 19.362 Menschen in Österreich an den bösartigen Geschwüren, waren es 2013 wieder 20.094. Auch in der Behandlung hat sich wenig geändert. Trotz riesiger Marketingoffensiven der Pharmaindustrie helfen zielgerichtete Therapien nur kleinen Gruppen von Patienten. Das Gros der Kranken wird mit Chemotherapien behandelt - mit allen unangenehmen Nebenwirkungen von Haarausfall, Übelkeit bis Durchfall.

Das wäre hinzunehmen, wenn sicher wäre, dass der Medikamentencocktail die bösartigen Geschwüre wirkungsvoll bekämpfte. "Doch das ist seltener der Fall, als man annimmt", sagt Daniela Kandioler, Krebschirurgin an der Med-Uni Wien. Weniger als die Hälfte der Patienten profitieren langfristig von den Therapien. Der überwiegende Teil, so sagt sie, leidet unter den Nebenwirkungen, ohne dass das Leben bedeutend verlängert würde.

Kandioler will das ändern. Sie hat einen Gentest entwickelt, der Auskunft geben soll, ob die Chemotherapie mehr Gutes oder Schlechtes für krebskranke Menschen bewirkt. In einer aktuellen, wenn auch kleinen Studie mit 36 Menschen, die an Speiseröhrenkrebs leiden, konnte Kandioler genau unterscheiden, wer gut auf die Chemotherapie vor der Operation ansprach und wer nicht. Jene Patienten, die über ein gesundes Gen, das TP53 verfügten, profitierten weitaus mehr. Sie lebten im Mittel fast drei Jahre nach der Behandlung immer noch. Die Patienten, deren TP53 verändert war, starben hingegen durchschnittlich nach neun Monaten.

Die Wächter der DNA

Seit fast zwei Jahrzehnten beschäftigt sich Kandioler mit TP53, einem Gen, dass das Protein p53 bildet. So kryptisch die Namen von Gen und Protein auch klingen, in der Medizin spekuliert man schon lang, dass p53 eine wichtige Rolle bei Krebserkrankungen spielen müsse. Es wacht gewöhnlich über den Gesundheitszustand des Erbguts. Es entscheidet, ob eine Reparatur der DNA noch sinnvoll ist oder ein molekularer Totalschaden vorliegt - und die Zelle in den programmierten Selbstmord geführt werden muss. Doch bei etwa der Hälfte der Tumore ist p53 außer Kraft gesetzt.

Bis etwa zum Jahrtausendwechsel wurde p53 - rein onkologisch gesehen - heiß diskutiert. Mausversuche zeigten, dass sich Tumore krebskranker Tiere mit gesundem p53 unter einer Bestrahlung in Nichts auflösten, während bei solchen, in denen das Protein durch genetische Veränderungen funktionslos geworden war, der Tumor weiterwuchs. Nur: "Im Menschen sah das dann etwas anders aus", sagt Thomas Hofmann, Leiter der Arbeitsgruppe für zelluläre Seneszenz (Zellalterung) am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ). Etliche Studien kamen zu höchst unterschiedlichen Ergebnissen: Einmal war der Beleg eindeutig, dann wieder sah es gar gegenteilig aus, die Ergebnisse der meisten Untersuchungen aber blieben uneindeutig. Für die Wiener Krebsforscherin Daniela Kandioler liegen die Gründe auf der Hand. "Gewöhnliche Gentests sind nicht genau genug. Zudem waren die Studien sehr uneinheitlich oder orientierten sich nicht an der Behandlung", sagt sie. Viele Chemotherapien haben zum Ziel, das Erbgut in der Zelle zu schädigen und so den programmierten Selbstmord auszulösen. "Das gelingt aber nur, wenn auch p53 gesund ist", so Kandioler. Patienten, deren Tumorzellen das Wächterprotein ausgeschaltet haben, wird durch eine solche Therapie nicht geholfen. Es sei kein Mechanismus mehr da, der die Zelle zerstört, fügt sie hinzu.

In solchen Fällen leiden die Patienten nur unter den Nebenwirkungen der Therapie, ohne dass diese ihre Wirkung erzielt. Genau das aber soll der Test verhindern. Weiß man, dass p53 außer Kraft gesetzt wurde, kann man Behandlungen auswählen, die auf anderem Weg die Zelle zerstören.

Für Thomas Hofmann vom DKFZ ist ein solcher Gentest eine wichtige Entwicklung. Er hält Kandiolers Arbeit, die diese ohne jegliche Zuschüsse der Pharmaindustrie vorangetrieben hat, für höchst relevant. "Ich wundere mich, dass solche Tests noch nicht klinischer Alltag sind", sagt er, weist aber zugleich auf die Grenzen der Studie hin. Erstens sei sie sehr klein, und es fehle die Kontrollgruppe. Es sei nicht auszuschließen, dass die Operation allein ohne Chemotherapie zu vergleichbaren Ergebnissen geführt hätte. Zudem sind Tumore diffizile Gebilde.

"Wenn im größten Teil des Tumors p53 noch voll funktionsfähig ist, heißt das nicht, dass sich nicht schon kleine Gruppen von Zellen gefunden haben, bei denen das nicht mehr so ist", so Hofmann. Genau diese Tumorzellen aber würden überleben. Je älter ein Tumor ist, umso wahrscheinlicher sei es, dass er nicht mehr nur aus einem einzigen Zelltyp bestehen würde - ein Problem, mit dem viele Krebstherapeuten zu kämpfen haben. Auch glaubt er, dass der Preis mit 900 Euro für einen Test, dessen Aussagekraft noch nicht voll nachgewiesen ist, recht hoch ist.

Da allerdings hält Kandioler, die inzwischen das Start-up mark53 gegründet hat, dagegen: "Eine Chemotherapie kostet 10.000 bis 15.000 Euro im Jahr, da sollten 900 Euro, die den Behandlungserfolg erhöhen, keine Rolle spielen." Im nächsten halben Jahr hat sie vor, mit zwei größeren Studien die Aussagekraft des Tests zu bestätigen. (Edda Grabar, DER STANDARD, 4.2.2015)