Auch juristische Betrachtungen, wie jene von Laura Pavlidis und Lisa-Marie Unterpertinger, die die U-Ausschussreform als "Etikettenschwindel" (Standard, 29. 1.) bezeichnen, sind nicht davor gefeit, den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr zu sehen. Der Wald ist in diesem Fall die Umsetzung des Kernanliegens aller Oppositionsparteien der vergangenen Jahrzehnte: parlamentarische Kontrolle gegen den Willen der Regierung durchsetzen zu können. Deutschland ist dafür international das Vorbild schlechthin. Die österreichische Reform wurde im Kern dem deutschen Modell nachgebaut. Sie ist und bleibt eine historische Veränderung und die wichtigste Reform des Parlamentarismus in der Zweiten Republik. In Kontrollfragen ist Österreich von Abstiegsplätzen auf die Champions-League-Ränge vorgestoßen.

Die Bäume stehen für zahlreiche ineinandergreifende Einzelregelungen, die sinnvollerweise nicht aus dem Zusammenhang gerissen mit deutschen Gesetzespassagen verglichen werden sollten. Das deutsche Modell trägt einen Grundwiderspruch in sich, den wir in Österreich vermieden haben: In Berlin ist die Einsetzung von U-Ausschüssen wie auch von Zeugenladungen und Aktenanforderungen zwar ein Minderheitsrecht, es braucht für die Umsetzung aber immer Mehrheitsbeschlüsse. Gegen nichtgefasste Beschlüsse gibt es aber kein Rechtsmittel: Die Minderheit kann sich auf den Kopf stellen. Daher ist etwa eine mehrfache Ladung der Bundeskanzlerin in einem deutschen U-Ausschuss graue Theorie, weil solche Beschlüsse von der Mehrheit nicht gefasst werden. Die österreichische Regelung mit zwei Minderheitsladungen pro Person und Ausschuss ist in der Praxis somit sogar eine Besserstellung gegenüber Deutschland.

Wirklich bemerkenswert ist die Kritik der Autorinnen an der Rolle des Verfassungsgerichtshofs (VfGH), der zukünftig über Rechtswidrigkeiten zu entscheiden haben wird. Sie sehen "eingefleischte Demokraten" gefordert, die Eigenständigkeit des Parlaments einzufordern. Jetzt aber mal halblang. Wer war denn bei Entscheidungen bisher "das Parlament"? Rechtsfragen wurden immer durch die Mehrheit entschieden. Das hieß, just die Regierungsfraktionen, deren Repräsentanten in einem U-Ausschuss vom Parlament kontrolliert werden sollten, entschieden. Und das soll besser und demokratischer gewesen sein als die künftige höchstgerichtliche Entscheidung?

Der Pauschalverdacht, Höchstrichter würden aufgrund der Art ihrer Bestellung Entscheidungen im Sinne der Regierung treffen, überrascht einigermaßen, wenn er aus der Feder zweier Assistentinnen des Instituts für Staats- und Verwaltungsrecht kommt. Ich erinnere nur an zahlreiche von den Regierungsfraktionen beschlossene Gesetze, die der VfGH aufgehoben hat, etwa die Vorratsdatenspeicherung. Wir fühlen uns als Minderheit auch nicht eingeschränkt, wenn man "schon vorab gut informiert sein muss, um einen Untersuchungsgegenstand verfassungskonform zu formulieren". Das wird einem Viertel der Abgeordneten und ihren Experten allen Ernstes nicht zugetraut? Ich kann beruhigen: Werner Kogler war dazu ohne größere Schwierigkeiten in der Lage. (Dieter Brosz, DER STANDARD, 3.2.2015)