Wien - Am 10. Jänner ist die bereits 2012 verabschiedete Neufassung der Brüssel-I-Verordnung - auch Brüssel Ia-VO oder EuGVVO 2012 genannt - in Kraft getreten. Sie regelt, wie schon ihre Vorgänger, EU-einheitlich zwei Bereiche, die für das Funktionieren des Binnenmarkts im Justizbereich von zentraler Bedeutung sind:

  • die Voraussetzungen, unter denen ein Gericht eines EU-Staats für einen Zivilprozess mit Auslandsbezug zuständig ist, und
  • die wechselseitige Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen.

Das bisher geltende System, welches auf dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens in die Gerichtsbarkeit aller Mitgliedstaaten basiert, wurde im Wesentlichen beibehalten. Mehr noch - die Neufassung verzichtet bei ausländischen Urteilen im Interesse von Zeit- und Kostenersparnis gänzlich auf das Erfordernis einer gerichtlichen Vollstreckbarerklärung (das sogenannte "Exequatur"). Urteile aus anderen Mitgliedstaaten sind inländischen nunmehr völlig gleichgestellt. Zur Wahrung der Rechte des Schuldners wird dies durch prozessuale Sicherheitsmaßnahmen (" safeguards") ausgeglichen, die ein faires Verfahren garantieren sollen.

Gegen Verschleppungstaktik

Aber auch in anderen Bereichen sollen Prozesse beschleunigt werden. Bisher war es einem Schuldner, der mit einer gerichtlichen Klage seines Gläubigers rechnete, möglich, durch geschicktes und schnelles Taktieren einen Prozess auf Jahre hinaus zu verschleppen. Er brauchte dazu nur eine negative Feststellungsklage in einem Land einzubringen, dessen Justiz für eher langsames Arbeiten bekannt ist (sogenannte "italienische Torpedos"). Kam er damit der Klage seines Gläubigers zuvor, so musste das Verfahren über Letztere so lange ausgesetzt werden, bis das zuerst angerufene Gericht über seine Zuständigkeit entschieden hatte. Dies ist nun nicht mehr möglich, vorausgesetzt, es liegt eine Gerichtsstandsvereinbarung ("choice of forum clause") vor.

Auch die Neufassung der EuGVVO gilt grundsätzlich nur dann, wenn der Beklagte seinen Sitz oder Wohnsitz in der EU hat. Insofern gibt es im europäischen Zivilprozessrecht weiterhin eine "Zwei-Klassen-Gesellschaft". Der Trend geht allerdings in globale Richtung. So sieht die Neufassung vor, dass das Gericht eines EU-Landes sein Verfahren auch dann aussetzen kann, wenn über denselben oder einen zusammenhängenden Anspruch ein Verfahren in einem Drittstaat bereits anhängig ist. Schiedsverfahren bleiben vom Anwendungsbereich der EuGVVO weiter ausgeschlossen.

Im Bereich der Gerichtsstände, die für grenzüberschreitende Zivilprozesse zur Verfügung stehen, ändert sich wenig. Die Neufassung verbessert jedoch den Schutz von Verbrauchern und Arbeitnehmern. Diese können nunmehr auch Klagen gegen Prozessgegner in Drittstaaten im eigenen Land einbringen. So kann ein österreichischer Konsument Ansprüche aus einem Verbrauchervertrag gegen ein US-Unternehmen in Österreich einklagen und ein klagsstattgebendes Urteil - Vermögen des Beklagten in der EU vorausgesetzt - EU-weit durchsetzen.

Die Neuregelung beschleunigt und vereinfacht EU-weit die Abwicklung grenzüberschreitender Rechtsstreitigkeiten in Zivil- und Handelssachen, vor allem die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile. Der Prozessverschleppung durch taktisch motivierte vorbeugende Gegenklagen wird ein Riegel vorgeschoben - vorausgesetzt, dass die Parteien eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung getroffen haben. Die Rechte schwächerer Parteien (Verbraucher, Arbeitnehmer) werden gestärkt. Das EU-Zivilprozessrecht bleibt dynamisch. (Alexander Klauser, DER STANDARD, 2.2.2015)