Eine Maschine als Metapher für Algorithmen; in ihrem Röhrensystem scheint eine "anthropomorphe Masse" zu zirkulieren: Digital Monsters Don’t Bleed (2014). Sylvia Eckermanns Installation für den Kunstraum Bernsteiner ist bis 6. 2. in adaptierter Form bei styleconception in Innsbruck zu sehen.

Künstlerin Sylvia Eckermann: "Algorithmen bestimmen dein zweites, digitales Ich."

Beispiele für die von Sylvia Eckermann gestalteten Seiten zum 20. Geburtstag von derStandard.at.

Wien - Die Wissenschaft ist zum Ersatz für Spiritualität geworden. Heute werden keine Knochen mehr geworfen oder Runen gelegt, um die Zukunft vorherzusagen, heute vertraut man dabei vielmehr auf die Orakelkraft des Algorithmus, auf eine "seltsame Mischung aus Aberglauben und Wissenschaft", findet die Künstlerin Sylvia Eckermann. Ein banales Beispiel sind für sie etwa die Partnerbörsen im Internet. "Mehr und mehr Menschen vertrauen auf den Algorithmus, der bestimmt mit wem man harmonieren würde."

Die Tatsache, dass unsere Gesellschaft eine digitale Parallelwelt enthält, die vollkommen durch Algorithmen dominiert ist, interessiert Eckermann, die nicht nur die Seiten zum 20. Geburtstag von derStandard.at gestaltet, sondern auch als erste professionelle Art Directorin des Mediums geholfen hat, die Texte samt ansprechendem Layout ins Netz zu hieven.

"Algorithmen bestimmen dein zweites, digitales Ich." Jede Handlung im Netz strickt an dieser Identität mit, nur wenig davon kann man aber bewusst beeinflussen. Und wie die eigene Digitalexistenz aussieht, das ist für den Einzelnen schon gar nicht lesbar, sondern nur zu erahnen, so Eckermann. Ohne dieses zweite Ich werde man irgendwann nicht mehr existieren können: kein Geld abheben, keinen Arzt konsultieren. Und Honorare legen? Nur noch per E-Rechnung.

Technikfeindlich ist Eckermann - die "Medienkünstlerin" - aber keinesfalls. Ein Etikett, mit dem die 1962 in Wien Geborene allerdings wenig anfangen kann: "Der Begriff ist obsolet. Inzwischen beschäftigen sich viele Künstler mit diesen mediatisierten Prozessen, die unsere Gesellschaft beeinflussen." Entwicklungen wie eben die wachsende Macht der Algorithmen und ihre Auswirkungen auf unser sozialpolitisches Agieren und unsere gemeinschaftliche Kultur. "Das ist etwas mit dem man sich befassen muss, das man nicht einfach so laufen lassen kann." Auch das Festival für Medienkunst und digitale Kultur, die Transmediale in Berlin (bis 1. 2.), widmet sich der Autorität datensammelnder Formeln: Capture All lautet das heurige Motto.

Keine Zufälligkeit

Für Eckermann sind es meistens die ökonomischen Interessen der Konzerne, die die Art der Datenauswertung steuern. Und auch das, was herauskommen soll, sei da quasi schon festgelegt. "Es gibt hier keine Zufälligkeit. Das liegt im Charakter dieser Maschine", sagt sie über den von ihr mit einer Maschine verglichenen Algorithmus. "Die Wahrheit - natürlich gibt es die Wahrheit nicht." Ausgehend von dieser nüchternen Erkenntnis wird die Dringlichkeit und Brisanz schnell klar: "Man braucht nur an die Utopie denken, dass ein Verbrechen bereits geahndet werden soll, bevor es überhaupt passiert", sagt Eckermann und verweist auf die US-Drohnenangriffe. Hinter der Utopie lauert die Gefahr.

Aus dieser sehr politischen Perspektive nähert sich Eckermann der digitalen Welt. Ursprünglich hat sie Chemie studiert, aber abgebrochen und dann in den frühen Achtzigerjahren als Restaurantkritikerin beim Wiener gejobbt. "Wien ist da gerade zur Stadt geworden", es war so viel möglich, das Geld lag quasi noch auf der Straße, erinnert sie sich. Im Ring, einem legendären Lokal am Stadtpark, begegnet sie dann Simonetta Ferfoglia und Heinrich Pichler, den Masterminds der für performative Rauminszenierungen bekannten Gruppe "gangart" - und eine sehr intensive Zeit beginnt. "Ich sage immer, ich bin bei ihnen in die Lehre gegangen. Ich habe Kunst wie ein Lehrling gelernt."

Mit Matthias Fuchs, ihrem späteren Mann, einem Programmierer und Elektronikmusiker, wird aus der Faszination für Computer und Maschinen dann Kunst - 16 Jahre lang bündeln sie ihre Kompetenzen: Man teilt Freud und Leid einer künstlerischen Produktion und kann im Kollektiv auch mehr entwickeln als allein. Das hat aber sicher auch mit dem Genre zu tun, so Eckermann. "Wenn man sich mit modernen Technologien auseinandersetzt, braucht man verschiedene Kompetenzen. Da kann man nicht alles alleine machen - das ist unmöglich", sagt sie.

"Damals befand man sich noch in einer digitalen Utopie, glaubte an eine neue Gesellschaft und daran, den Kunstbegriff ändern zu können. Das künstlerische Einzelgenie sollte sich im gemeinsamen Projekt auflösen. Wir wollten weg vom langweiligen Kunstraum, hinaus in den öffentlichen Raum, zu dem auch das Fernsehen zählte." Aber die Hoffnungen wurden enttäuscht: "Die Freiheit der digitalen Welt wurde sofort vereinnahmt, ökonomisiert."

Studieren konnte man die sogenannte Medienkunst damals noch lange nicht. Die Community - zu der etwa Thing oder public netbase zählten - hat sich ihre Theoretiker stattdessen selbst eingeladen. Und heute trifft sich in Eckermanns Atelier, das sie mit ihrem (Kunst-)Partner Gerald Nestler teilt, regelmäßig die Plattform Technopolitics, die techno-ökonomische und -politische Paradigmen diskutiert. Inzwischen arbeitet Eckermann aber auch gerne solo, genießt "diese absolute Beschäftigung mit sich selbst und der eigenen Innenwelt - das ist ein starker Moment."

Es sind sehr komplexe, ganze Bücher füllende Themen, die sie beschäftigen. "Wir leben in einer Zeit, die mit einem großen Fragezeichen behaftet ist. Soviel du auch liest, du bekommst keine Antworten auf die Frage, wohin sich die Mensch-Maschinenwelt entwickelt." In ihrer Kunst versucht sie, das Komplexe runterzubrechen auf emotional erfahrbare Räume und die Frage, was diese Themen für das Individuum bedeuten. Es entstehen Rauminstallationen, die mit Computeranimationen, Film, Sounds arbeiten, die Interaktion anbieten; ganze zehn Jahre hat sie sich etwa mit Computerspielen beschäftigt. "Mir ist die Schnittfläche zwischen dem Digitalen und Analogen in meiner Arbeit sehr wichtig."

Genau an diesem Punkt setzt auch ihre Gestaltung für den Standard an: aus der zweidimensionalen Fläche einen Raum zu generieren, der als Metapher für den digitalen Raum - auch jenen von derStandard.at - steht. Ein Bild, das die neuen Kanäle und Wege symbolisiert, die durch die elektronischen Medien erschlossenen wurden. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 31.1./1.2.2015)