Wer versucht, sich Bangkok zu er-essen, der kann sich schnell einmal etwas verloren fühlen. In vielen Gegenden gibt es mehr Garküchen als Häuser, und selbst nach Wochen kann der Fressflaneur noch überall neue Speisen entdecken. Umso wichtiger ist es, gute Guides zu haben – und ich hatte gleich doppelt Glück.

Erstens hat mich Ton auf eine kleine Tour zu seiner liebsten Essstraße mitgenommen. Ton ist in Bangkok geboren und hat dann eine beachtliche kulinarische Ausbildung in den USA absolviert, vom CIA über Eleven Madison Park bis hin zu Jean Georges. Seit ein paar Jahren ist er zurück in Bangkok und bekocht hier sein eigenes Restaurant Ledu.

Zweitens hat mir dieser Herr, einer der erfahrensten westlichen Esser Asiens , einen Markt empfohlen, der in drei Woche einer meiner Lieblingsplätze in Bangkok geworden ist: den Khlong-Toei-Markt, wo ein Großteil der Straßenköche Bangkoks spätnachts einkauft.

Foto: Tobias Müller

Wenn es um schicke Restaurants oder westliche Küche geht, dann ist die Neustadt rund um die Sukhumvit Road nicht zu schlagen. Das beste Straßenessen habe ich aber fernab der Shoppingmalls in den älteren Teilen der Stadt gefunden. Hier daher zwei Fressspaziergänge durch das historische Bangkok: von Austernomelettes über geräucherte Enten bis hin zu frischem Tofu und Kokosnusskuchen.

Davor kurz in eigener Sache: am 14. Februar geht's vom Thai-Markt auf den Brunnenmarkt. Ich kredenze Schweinebauch-Sandwiches aus dem Räucherofen und freue mich über Gesellschaft.

Ton (links) in seinem liebsten Entenlokal.
Foto: Tobias Müller

Tons liebste Fressstraße in Bangkok ist nicht allzu weit entfernt von seinem eigenen Restaurant. Von der U-Bahn-Station Saphan Taksin gleich am Fluss führt die Chareanakorn Road gen Norden. Die Gegend ist eine der besser erhaltenen alten Teile Bangkoks, zahlreiche mehr oder weniger verfallene Kolonialzeit- und Jahrhundertwendehäuser säumen die Straßen. Wer die Chareanakorn lange genug hinauf fährt, erreicht irgendwann einmal Chinatown – diese Verbindung zeigt sich auch in der gebotenen Küche.

Weit mehr als die Hälfte aller Thais, er mit inbegriffen, hätten chinesische Vorfahren, sagt Ton, dementsprechend stark sei auch die Küche Thailands von China beeinflusst. Vom Austernomelette über geräucherte Enten bis zu den allgegenwärtigen Nudeln oder der noch allgegenwärtigeren Technik des Stir Frys, des schnellen Bratens im Wok, prägt die große chinesische Küchenkultur Thailand. "Es ist eine großartige Mischung", meint Ton. "Die Thais haben die chinesische Küche interessanter gemacht – mehr Aromen, mehr Kräuter, all die guten Zutaten hier."

Der Austernkoch
Foto: Tobias Müller

Sein erster Liebling ist ein kleines Geschäft in einer Seitengasse der Chareanakorn, wo seit 47 Jahren das gleiche Gericht serviert wird. Das Lokal verdankt der Speise auch seinen Namen: Thip Hoi Thot, knuspriges Austernomelett.

Austernomelett
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Für das Omelett wird erst ein Ei auf einer heißen Platte verquirlt und so lange gebraten, bis es knusprig wie ein Cracker ist. Dann werden Austern und Frühlingszwiebeln mit ein wenig Reismehl und Wasser kurz angebraten, bis sie gerade einmal warm sind, aber noch relativ roh und herrlich nach Meer und Muschel schmecken. Schließlich werden das Ei und die Muscheln gemeinsam mit gedämpften Bohnensprossen und süßer Chilisauce serviert. Das Ergebnis: ein fischig-knuspriges ideales Katerfrühstück, das Bangkok-Äquivalent zum scharfen Rollmops für den Morgen danach.

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Eine der Erfolgsgeheimnisse des thailändischen Straßenessens sei es, dass jeder Esser es am Tisch nach seinem Geschmack fertig würzen kann, hat mir diese Köchin einmal erzählt. Gleich dort, wo die Omelette-Straße in die Chareanakorn mündet, gibt es ein ideales Beispiel dafür: Rad Na. Der Koch liefert nur die Bühne, der Gast macht den Rest. In dem Laden auf der Chareanakorn-Straße ist diese Bühne allerdings bereits recht fantastisch: Reisnudeln, Schwein und etwas knackiges Gemüse werden mit einem herrlichen Schlatz aus Ei und Reisstärke überzogen, der Idee der Sämigkeit. Der Esser lässt dann seine Würzfantasie spielen und verpasst dem Ganzen Zucker, Chiliflocken, Pfeffer und Essigchilis, bis er beglückt schlürft und schmatzt.

Foto: Tobias Müller

Einen Häuserblock weiter findet sich eine Bangkoker Institution: Aus der ganzen Stadt pilgern Menschen zu Yan Vo Yuen, um hier ihren traditionellen Kräuterdrink zu nehmen, der gut ist für und gegen alles und seinem regelmäßigen Trinker ein langes, gesundes Leben verspricht. Ich habe zumindest einen alten Mann dabei beobachtet, wie er das Zeug mit zwei kräftigen Schlucken hinunterspülte und dabei sehr fit wirkte.

Das Zeug entspricht nicht westlichen Vorstellungen von "gut", wer aber tatsächlich essen und trinken will wie ein Thai, der kann sich nicht nur die Rosinen herauspicken. Probieren Sie es und schütteln Sie sich. Wer nachher noch will, kann ein Glas Lu Han Guo genießen – einen Drink aus der Lor-hang-gua-Frucht, die einen kühlenden Effekt auf den Körper haben soll. Falls Sie keinen Durst haben: Bestaunen Sie hier die hausgemachten chinesischen Würste, die zum Trocknen hängen, oder kaufen Sie einige der besten vergorenen Sojabohnen der Stadt – frisch aus ihren Gärurnen.

Foto: Tobias Müller

Die Mischung aus Barbecue, Eiernudeln und Suppe sind eines der Standard-Gerichte in ganz Südostasien, bei Prachak aber wurde es zur Vollendung gebracht. Seit mehr als 100 Jahren serviert der Shop sein Signature-Dish. Die Ente ist saftig und samtig, das Gemüse knackig, die Suppe kräftig und perfekt gewürzt, die Eiernudeln haben ihren speziellen, süchtig machenden Biss. Dazu gibt es auf Wunsch Shrimps Won Ton, die so herrlich nach Meeresfrucht schmecken, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich in China je geschmacklich bessere gegessen habe.

Nudelsuppen jeglicher Art und Couleur sind das häufigste Straßenessen Thailands und an jeder Ecke zu finden. (Eine besonders farbenprächtige Variante etwa ist rosa und verdankt ihre Farbe dem Saft von fermentiertem Tofu.) Abgesehen von verschiedensten Nudeln – breiten, sämigen Reisnudeln, mittleren knackigen Eiernudeln, sehr dünnen Haarnudeln – hat der Kunde stets eine Grundsatzentscheidung zu treffen: ob er die Nudeln in der Suppe oder "trocken" will, also neben der Suppe in einer Extraschüssel. Die zweite Variante ist etwa vor zehn Jahren schick geworden. Der Geschmack der Nudeln, der Sauce und der Einlagen ist intensiver, weil nicht verwässert, und wenn man den Stand und die Suppe noch nicht kennt, riskiert man nicht, sich sein Essen von einer schlechten Brühe vermiesen zu lassen.

Congee
Foto: Tobias Müller

Das vielleicht verbreitetste Frühstück zwischen Hongkong und Chiang Mai ist Congee, Reissuppe mit oder ohne diversen Einlagen. Bei gutem Congee muss man erkennen, dass er aus Reis und Wasser besteht, meint der chinesische Gourmet, er soll also weder zu dick noch zu dünn sein, gerade so, dass die Reisstärke der Suppe Körper und Konsistenz verleiht, ohne sie sterzig zu machen. Puristen würzen ihren Congee nicht – wem das zu fad ist, der greift oft zu Sojasauce und Ingwer.

In einem kleinen Hausdurchgang auf der Chareanakorn Road wird diese hohe Kunst allmorgendlich zelebriert. Der berühmte Stand reichert sein Congee zudem mit einem rohen Ei an, das in die heiße Suppe gerührt wird - eine ganz hervorragende Idee. Auf Wunsch gibt es außerdem faschierte Schweinsknödel dazu. Zum Eingraben. Kommen Sie früh, gegen Mittag ist der Topf leergeschöpft.

Eine Frau grillt Reispapier über Kohlen auf dem Nang-Loeng-Markt.
Foto: Tobias Müller

Der Nang-Loeng-Markt ist mit 116 Jahren der älteste Festlandmarkt der Stadt (davor gab es in Bangkok wegen seiner vielen Kanäle nur schwimmende Märkte) und wirkt ein wenig aus der Zeit gefallen. Ich bin hier mit Hui hergekommen, die über 50 ist und ihr ganzes Leben in Bangkok verbracht hat. Sei es eine bestimmte Art breiter Reisnudeln oder über offenem Feuer gebratenes Reispapier – viele der Köstlichkeiten, die hier noch geboten werden, habe sie seit Jahren nicht mehr gesehen, ein Besuch des Markts sei wie ein Besuch in ihrer Kindheit, meint sie.

Der Markt besteht aus zwei Ringen – einer innen, einer außen – von Verkäufern, in deren Mitte wie in einem Food-Court einige Tische stehen. Von diesem zentralen Platz führen wiederum mehrere Gassen weg, in denen weitere Verkäufer stehen. Wer in Bangkok lebt, kann wohl Wochen oder Monate damit verbringen, sich durch den Nang Loeng zu fressen, ohne jemals das Gleiche essen zu müssen.

Foto: Tobias Müller

Beginnen Sie in einer der beiden Gassen, die den Markt mit der Hauptstraße Nakhon Sawan verbindet. Hier finden Sie eine Dame mit einem sehr altmodischen Nudelstand: Er ist so gebaut, dass sich sämtliche Utensilien am Abend in ihm verstauen lassen. Viel besser als hier wird die Nudelsuppe in Bangkok nicht. Das Highlight hier sind die hausgemachten Einlagen: herrlich frischer Tofu, gut abgeschmeckte Fleisch- und Fischbällchen und frisch frittierte Teigstangen.

Gleiches System, anderer Markt: Vom Currystand auf dem Nang Loeng gibt's leider kein Foto.
Foto: Tobias Müller

Neben der chinesischen Küche ist die indische Küche der zweite große Ideen- und Technikgeber für Thaiküche – die berühmten Thai-Curries sind vom Subkontinent abgeschaut. Manche sind noch näher dran am Ursprung – etwa das berühmte Massaman Curry aus Südthailand –, andere haben über die Jahrhunderte eine sehr eigenen Färbung bekommen. Am Nang Loeng lassen sich alle Formen erleben.

Schlagen Sie sich zum Hauptplatz vor. An der äußersten Ecke, die am nächsten zur Kreuzung Nakhon Sawan / Krung Kasem liegt, finden Sie die Bangkoker Variante des Mittagsbuffets: zwanzig oder mehr Töpfe mit verschiedenen Currys, gebratenen Fischen und Nudeln, aus denen Sie nach Lust und Laune wählen können – Thai-Hausmannskost auf höchstem Niveau. Lassen Sie sich nicht beraten, Thais neigen dazu, Ausländern die langweiligsten aller Speisen (Pad Thai, Huhn mit Erdnüssen …) zu empfehlen, sondern nehmen Sie, was abenteuerlich aussieht. Und keine Sorge, es ist schwer, etwas Schlechtes zu erwischen.

Kokospudding
Foto: Tobias Müller

Einer der Highlights auf jeder Bangkoker Fresstour: die Desserts. Thai-Desserts haben mehrere schöne Eigenschaften: Sie bestehen sehr oft aus einem Teil der Kokosnuss, sie haben oft cremige bis geleeartige Konsistenzen, und, vielleicht das Beste, sie setzen nicht nur auf Zucker, sondern auch auf Salz – eine wesentliche Zutat, die westliche Desserts allzu oft vergessen.

Im inneren Ring des Nang Loeng, auf der Seite, die am weitesten weg ist von der Nakhon Sawan, steht eine resolute Dame und dämpft unentwegt den besten Kokosnusspudding, den ich in der Stadt gegessen habe. Sie gießt aus einer Kokosnuss einen süß-salzigen Kokos-Reismehl-Brei in entzückende kleine Tonschalen, dämpft diese für einige Minuten und verkauft sie dann noch warm an die bereits Schlange stehende Kundschaft – für unglaublich günstige drei Baht pro Portion. Kaufen Sie mehr, als Sie zu essen beabsichtigen, Sie werden sie verschlingen.

Foto: Tobias Müller

An der südöstlichen Ecke des Marktes stehen zwei Damen mit ihrem Dessertstand, an dem sie diverse Gelees und Kuchen verkaufen. Mein Highlight: der unspektakulär aussehende braune Kokoskuchen. Eine so umwerfende Konsistenz ist mir selten untergekommen: Der Biss sinkt nach anfänglichem Widerstand mit erleichternder Sanftheit wie ein Stein ins Wasser in den saftigen Teig, der Geschmack ist stark "kokosig" und nicht zu süß. Ich gäbe einiges, ihn jetzt noch einmal zu genießen. (Tobias Müller, derStandard.at, 1.2.2015)