Patricia Highsmith: Selbstporträt in Wachskreide auf Papier.

Foto: Diogenes Verlag AG, Nachlass Patricia Highsmith, Schweizerische Landesbibliothek / Schweizerisches Literaturarchiv, Bern
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Bedürfte es eines schlagenden Beweises dafür, dass Nordamerika und Europa auseinanderdriften, dann müsste man im Buchmarkt nur auf ein Genre verweisen: die Biografie. Noch immer nachgefragt und viel gelesen, fristet die Lebensbeschreibung speziell von Autorinnen und Autoren hierzulande dennoch eher ein Nischendasein, geben sich viele zufrieden mit Rowohlt-Bildmonografien. Selbst altehrwürdige deutschsprachige Verlage erweisen sich nicht erst beim Umfang knausrig, schon beim Wagemut. Löbliche Ausnahmen wie Bände über Kafka, Canetti oder Thomas Mann bestätigen diese Regel.

In England und den USA hingegen wuchern die Biografien wilder Autoren. Und werden immer detaillierter. So benötigte John Lahr für seine fulminante Tennessee-Williams-Biografie, die im letzten Spätherbst erschien, eng bedruckte 782 Seiten. Und Joan Schenkar kommt nun mit Die talentierte Miss Highsmith. Leben und Werk von Mary Patricia Highsmith, ihrer Nacherzählung des Lebens der Erzählerin Patricia Highsmith, auf 1072 Seiten.

Über beider Leben, dem von Williams wie dem der Tom-Ripley-Erfinderin, kann ein Ausspruch des Autors von Endstation Sehnsucht aufscheinen: Das Leben ist kannibalistisch. Was heißt: Das Leben, Beziehungen, Konstellationen, Reiseeindrücke werden für die Kunst, die Bücher, die Dramen benutzt und ausgeschlachtet.

Acht Jahre hat die 1952 geborene New Yorkerin Joan Schenkar für diese Biografie aufgewendet. Sie hatte Zugang zu weitgehend unerschlossenen Quellen. Vor allem die im Nachlass aufgefundenen 38 Cahiers, Notizbücher, und 18 Tagebücher - inzwischen mitsamt vielen anderen Materialien im Schweizerischen Literaturarchiv in Bern deponiert - der am 19. Jänner 1921 im texanischen Fort Worth geborenen und am 4. Februar 1995 im Tessin verstorbenen Highsmith boten grundlegend neue Einblicke. Dazu kamen Gespräche mit Aberdutzenden von Freundinnen, Ex-Geliebten, Verwandten, von denen viele nicht mehr am Leben sind.

So durchdringend hat noch niemand die teils selbst erzeugten Mythen dieser Autorin durchdrungen, analysiert, widerlegt, etwa ihr angebliches Einsiedlertum im Tessin - dabei pflegte sie dort Umgang (und Korrespondenzen) mit vielen, suchte zwar weniger, fand dafür umso nachhaltiger Unterstützung, Hilfe, Anschluss. Und derart umfassend wird wohl kaum ein zweites Mal jemand das komplexe wie promiske Liebesleben der als Mittzwanzigerin hochattraktiven und grenzenlos ambitionierten Autorin schildern.

Erstmals wird auch ihre Zeit als Comictexterin im New York der Vierziger ausgeleuchtet, etwas, das Highsmith lebenslang verschwieg. Auch die furienhafte Liebes-Hass-Beziehung zur Mutter Mary, deren sanguinische, sadistische Boshaftigkeit Patricia Highsmith bis aufs Haar spiegelte, wird extensiv ausgebreitet.

Das sind die Stärken dieses an Details so reichen Buches. Die Schwächen sind andererseits mit Händen zu greifen. Wer eine chronologisch geordnete Darstellung ersehnt, sollte erst auf Seite 889 beginnen mit der Sektion "Die reinen Fakten". Davor bietet Schenkar eine serpentinenartig gewundene Zickzackgeschichte, in der manches angetippt wird, das viele Seiten, manchmal auch erst Kapitel später erläutert wird.

Die Analysen der Romane muten schemenhaft an, vor allem die praktische Arbeitsweise, der Arbeitsstil und die Rezeption Highsmiths bleiben ein Mysterium. Das Anekdotische läuft zusehends aus dem Ruder: noch diese Geliebte und jene Affäre erwähnen, diese Dreiecksüberkreuzliebe, eine Lieblingsbeziehungsform Highsmiths, und jenen Briefkontakt einflechten und Stimmen, Details und Abschweifungen zitieren über die systematische Unfreundlichkeit im Alter, ihre rabiate Grobheit, ihre Manierismen, ihre emotionale Selbstzerstörung in den Sechziger- und Siebzigerjahren und die Misogynie der Lesbierin.

Erstaunlich auch, wie blass trotz der nicht selten ins Blumige, auch in Kitsch abrutschenden Beschreibungen so manche Umgebung und viele Personen bleiben. Und wie unerklärt und unerklärlich Highsmiths erratische Aktionen und psychische Verwerfungen: der penetrante Wankelmut bei nahezu allen Entscheidungen, aber das Abbrechen von Beziehungen, die Ansiedlung in Frankreich und in der Schweiz, aber die Weigerung, die Sprachen dieser Länder zu lernen, der Aufstieg zur ge- und berühmten Autorin in Europa und das Fast-vergessen-Werden in ihrem Heimatland. Und dass Highsmith Autorin war und mehr als 40 Jahre lang regelmäßig alle 24 Monate ein Buch herausbrachte, wird bei Schenkar bald zur Randnotiz.

Umstandslos hätten der New Yorker Verlag St. Martin's Press und der Diogenes-Verlag, seit mehr als einem Vierteljahrhundert globaler Rechterepräsentant der Highsmith'schen Bücher, mehr als ein Zehntel des Manuskriptes streichen können, ohne dass etwas an Substanz verlorengegangen wäre. Am Ende dieses elefantösen, passagenweise monströsen Buches bleibt Zwiespältiges zurück. Nicht der starke Impuls, wieder zu den Büchern Patricia Highsmiths zu greifen und neuerlich zu lesen. Viel eher die Neigung, die Bände mehr als einen Tick zurück in den Halbschatten zu schieben, in die zweite Reihe. (Alexander Kluy, Album, DER STANDARD, 31.1./1.2.2015)