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Erster Gast bei Alexis Tsipras (li.): Sozialdemokrat Martin Schulz, Präsident des EU-Parlaments, wollte ausloten, wie weit die neue Linksregierung in ihrer Forderung nach Neuverhandlungen über die Schulden gehen will.

Foto: EPA / ORESTIS PANAGIOTOU

Athen/Wien - Im Iran trägt die politische Führung seit der Islamischen Revolution 1979 keine Krawatten mehr, weil sie als Symbol des dekadenten Westens gelten. In Griechenland tut es die neue linke Ministerriege nicht, schon aus Opposition gegen das bourgeoise Establishment überhaupt. Martin Schulz ist das nicht entgangen, als er am Donnerstagnachmittag die weißen Marmorstufen der Villa Maximos, des Amtssitzes des griechischen Premiers in Athen, hinaufstieg und von Alexis Tsipras herzlich in Empfang genommen wurde. Schulz, EU-Parlamentspräsident und gewissermaßen oberster Repräsentant der bürgerlichen Sozialdemokratie in Europa, zupfte belustigt und den väterlichen Lehrmeister mimend an Tsipras' weißem Hemdkragen.

"Kein Bock" auf ideologische Debatten

Inhaltlich war das erste Treffen zwischen dem neuen linken Regierungschef und einem EU-Vertreter weniger einfach. Er habe "keinen Bock, ideologische Debatten zu führen mit einer Regierung, die gerade mal zwei Tage im Amt ist", hatte Schulz am Abend vor seiner Reise im deutschen Fernsehen erklärt. Zusätzlich zur Schuldenkrise und dem Sparprogramm, das die Tsipras-Regierung gestoppt hatte, waren die EU-Sanktionen gegen Russland als neuer Streitpunkt aufgetaucht. Schulz erklärte sich "entsetzt" über den Kurswechsel der neuen griechischen Regierung, die aus dem bisher geltenden Konsens in der EU zum Konflikt in der Ukraine ausscherte.

Tsipras nannte Schulz gleichwohl einen Freund, der im Europawahlkampf gemeinsame Positionen vertreten habe. "Europa bedeutet Solidarität", sagte der stets jugendlich wirkende Premier beim Warm-up in der Villa Maximos, als noch Kameras zugelassen waren. Und er, Tsipras, hoffe, dass eine gemeinsame tragfähige Lösung in der Schuldenfrage gefunden werden könne.

"Außergewöhnliche Wende"

Nach einem knapp einstündigen Gespräch suchte Schulz vor der Presse gleichwohl einen Moment lang nach Worten. Es sei am vergangenen Wahlsonntag wohl eine "außergewöhnliche Wende erfolgt für Ihr Land", sagte er schließlich an Tsipras gerichtet. "Lösungsprozess" war dann die Formel, die der deutsche Sozialdemokrat fand, um zu beschreiben, wie Europa und die neue griechische Regierung aus dem sich anbahnenden Konflikt um die Schuldenrückzahlung und neue Kredite kommen sollen. Die Regierung Tsipras suche keine Alleingänge, sagte Schulz. Der Kampf gegen die Steuerflucht und Änderungen an einer ungerechten Besteuerung in Griechenland waren Punkte, über die es immerhin Einigkeit gab. Nun geht die Reisediplomatie erst richtig los: Schulz wird Freitag in Berlin die deutsche Kanzlerin Angela Merkel treffen und ihr über das Gespräch mit Tsipras berichten. Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem kommt am selben Tag nach Athen. Der niederländische Finanzminister lehnt einen weiteren Schuldenschnitt für Griechenland kategorisch ab.

Kredittranche in weiter Ferne

Finanzminister Yiannis Varoufakis will kommenden Montag seinen französischen Kollegen in Paris treffen und anschließend den italienischen Finanzminister, um auszuloten, wie viel Bereitschaft zu Verhandlungen über die griechischen Schulden es in der EU gibt. Nicht bestätigt waren am Donnerstag Gerüchte, wonach Tsipras selbst bereits nächste Woche zur EU-Kommission nach Brüssel reist, noch vor seinem ersten EU-Gipfel am 12. Februar.

Athen wartet noch auf eine letzte Kredittranche von insgesamt sieben Milliarden Euro, doch zuvor bedarf es einer Einigung mit der Troika. Die scheint weit entfernt, seit Tsipras bei der ersten Kabinettssitzung am Mittwoch ankündigte, wesentliche Teile des Sparprogramms, das mit den Kreditgebern vereinbart war, zu stoppen. 2500 bis 3000 Beamte würden wieder eingestellt, kündigte am Donnerstag der Minister für Verwaltungsreformen, Georgios Katrougalos, an. Das dürfte ein Zehntel der bisher Entlassenen sein. (Markus Bernath, DER STANDARD, 30.1.2015)