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Anhand von umfangreichem Archivmaterial gibt der Dokumentarfilm "Red Army" Einblick in Entstehung und Zerfall der Sbornaja, der legendären Eishockeynationalmannschaft der UdSSR.

Foto: APA / Cannes Film Festival

Wien – "Ihr Amerikaner seid solche Faulpelze." Im Interview gibt sich Slawa Fetissow ungehalten. Sein Mobiltelefon bestimmt den Zeitpunkt der nächsten Frage, manchmal entschlägt er sich der Antwort, und immer gibt er seinem Gegenüber zu erkennen, wer bei diesem Gespräch den Ton angibt. Wenn der US-Filmemacher Gabe Polsky seine nächste Frage also nicht rechtzeitig stellt, kann es passieren, dass ihm der ehemalige sowjetische Eishockeystar einen rhetorischen Cross-Check verpasst.

Auch dreißig Jahre nach seinen größten Erfolgen kann man erkennen, was Slawa Fetissow seinerzeit zum Mannschaftsführer des ZSKA, dem Eishockey-Club der Roten Armee, machte, zum Kapitän der als unschlagbar geltenden, legendären sowjetischen Nationalmannschaft und zum wahrscheinlich besten Verteidiger der Welt. Dieser Mann hat auch heute noch so viel Selbstbewusstsein, dass es ihm völlig egal ist, ob sein Auftritt in einem Dokumentarfilm als arrogant empfunden werden könnte. Zum Zeitpunkt des Interviews kümmert er sich als Vertrauter Putins um die reibungslose Abwicklung der Olympischen Spiele in Sotschi. Der Sportler ist zum Politiker geworden und steht damit im Lager jener, die viele Jahre lang seine Leistungen förderten und einforderten.

Wie wichtig der Eishockeysport als Propagandainstrument für die sowjetische Politik des Kalten Krieges war, zeigt Red Army vor allem anhand persönlicher Berichte damaliger Spieler. Obwohl sich Polsky, dessen Eltern aus der Sowjetunion in die USA emigrierten und der selbst professionell Eishockey spielte, zuvorderst auf die Karriere Fetissows konzentriert, macht er immer wieder die wechselseitige Abhängigkeit von gefeierten Sportlern und einem im Hintergrund agierenden Machtapparat ersichtlich. An dieser Belastung konnten Freundschaften zerbrechen: Als Fetissow sich für mehr persönliche Freiheiten einsetzte und einen Aufstand gegen den für seine drakonischen Methoden gefürchteten Coach Wiktor Tichonow anzettelte, stellte sich sein bester Freund und Kollege Alexei Kassatonow auf die Seite des Systems. Das Schweigen Kassatonows vor laufender Kamera zu diesem nie überwundenen Vertrauensbruch ist heute noch vielsagender als jeder Versuch einer Erklärung.

Mit umfangreichem Archivmaterial ausgestattet gibt Red Army aber nicht nur Einblick in die Entstehung und den Zerfall des berühmtesten Fünferblocks der Eishockeygeschichte, sondern liefert auch eine Chronik des politischen Wechsels. Mit Glasnost und Perestroika waren die Sowjetstars bald nicht mehr zu halten und wechselten – wenngleich zunächst noch an der langen Leine gehalten – zum ehemaligen Klassenfeind in die amerikanische NHL (National Hockey League).

Kein herzlicher Empfang

Red Army hebt deutlich hervor, dass ihnen dort jedoch keineswegs ein herzlicher Empfang gegönnt war und auch Fetissow als einem der Wegbereiter in die neue Freiheit die Umstellung nie wirklich gelang. Polsky revidiert damit auch das bis heute vorherrschende Bild der Sbornaja als Spiegel einer gefühlskalten Gesellschaft.

Einmal zeigt Polsky in einer bizarren Archivaufnahme Bären mit Schlittschuhen zum Gaudium der feixenden Zuschauer Eishockey spielen. Ausgerechnet an dieses Bild muss man sich später erinnern, wenn die weltbesten Spieler ihr Kollektiv zum perfekt choreografierten Ballett verwandeln. (Michael Pekler, DER STANDARD, 30.1.2015)