Winslow Gilsons Fähnchen aus Fotos von Kameraden ihres Großvaters, eines Befreiers. Eigene alte Pinsel wurden Fahnenstöcke.

Foto: Graz-Museum

Graz - Das Gesicht, das durch Eisenbahnschienen herausblickt, gehört dem Philosophen Karl Popper. Er hängt auf einem bunten Vorhang in der Gothischen Halle des Graz-Museums von der Decke.

Georgy Litichevsky hat Popper verewigt, um an das Werk Die offene Gesellschaft und ihre Feinde zu erinnern, in welchem Popper vor totalitären Staatsformen warnte. Litichevsky spielt mit der Eisenbahnschiene als Symbol für Freiheit und Unfreiheit - weil man an Freiheit permanent arbeiten muss. Er ist Teil eines Künstlerkollektivs aus Moskau, das zum Projekt Liberation Continued nach Graz kam. Zur Vorgeschichte: Der Maler Josef Schützenhöfer, der ein halbes Leben in den USA gelebt hat und dort die Gedenkkultur der Amerikaner, die auch gefallene Kriegsgegner ehrt, kennenlernte, bearbeitet seit seiner Rückkehr nach Österreich seit vielen Jahren den hiesigen Umgang mit der Vergangenheit. Ausgehend von US-Piloten, die in seiner Heimatgemeinde Pöllau abgestürzt waren, begann sein Liberation-Projekt.

Er setzte Kriegerdenkmälern etwas entgegen und beteiligte auch die Enkel der Befreiergeneration, teils Kunststudenten, die er selbst in den USA unterrichtet hatte. Seine Arbeiten gegen Faschismus regen auf. Eine Skulptur, die er teils aus dem Blech des abgestürzten Fliegers mit den amerikanischen Künstlern baute, wurde 2011 mehrmals attackiert und beschädigt - der Standard berichtete.

Die aktuelle, von Hermine Prügger kuratierte Schau wird von den jungen Russen, der US-Künstlerin Lauren Winslow Gilson sowie von Schützenhöfer selbst und den Österreichern Peter Gerwin Hoffmann, Joachim Bauer und Barbara Edlinger bestritten.

Winslow Gilson fotografierte private Dinge ihres Großvaters, eines US-Fliegers, druckte die Bilder auf Stoff und nähte kleine Polster daraus. Für eine andere Arbeit fertigte sie aus Fotos von Kameraden des Großvaters kleine bunte Fahnen an. Berührend ist eine Ansammlung von kleinen Gefäßen für Setzlinge, in die sie Stäbchen mit Pflanzennamen in die Erde steckte. Darunter verteilt sind Namen und Bilder von US-Soldaten. Das erinnert an einen Miniatursoldatenfriedhof, aus dem neues Leben entsteht.

Auf der russischen Seite nehmen zwei Arbeiten den Dialog mit Winslow Gilson auf: Sergey Kishchenkos Das tägliche Brot, eine Fotodokumentation, und Grafiken von Herbarien aus einem Institut für Pflanzenzucht. Die Herbarien wurden während der Blockade von Leningrad 1941 von Institutsmitarbeitern beschützt. Sie verhungerten, während sie die Vorräte ihres Instituts retteten. Ludmilla Konstantinova macht ein starkes Statement mit textiler Kunst: Durch ein schönes weißes Tuch, das sie von ihrer Oma geschenkt bekam, schimmert der Satz der Großmutter: "But the Gulag archipelago is fiction, isn't it?" Ein Hinweis auf Probleme mit Geschichtsaufarbeitung in ihrer Heimat.

Peter Gerwin Hoffmann erinnert in seiner Arbeit an die oft verschwiegene Zahl der russischen Befreier, die auf österreichischem Boden gefallen sind: 26.003.

Am 4. 2. zeigt das Graz-Museum die Doku Preis der Freiheit über Schützenhöfers Arbeit. Er selbst zeigt in der Schau gewohnt ausdrucksstarke Malereien, die Heuchlertum anprangern. Auf ihnen tummeln sich bekannte und unbekannte Politiker. Schützenhöfers Haus und Auto wurden unmittelbar nach der Eröffnung der Schau mit Hakenkreuzen und dem Wort "Nazi" beschmiert. (Colette M. Schmidt, DER STANDARD, 29.1.2015)