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New Yorker Außenwirkungen einer rasanten Backstage-Komödie: Michael Keaton als Riggan in "Birdman oder Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit".

Foto: AP/Nishijima

Wien - In der Rolle eines Superhelden namens Birdman hat es Schauspieler Riggan Thomson (Michael Keaton) in Hollywood einst zu Berühmtheit gebracht. Seither hat sich einiges verändert, den in die Jahre gekommenen Star verlangt es auch nach künstlerischer Kredibilität. Er hat einen Erzählband von Raymond Carver für die Bühne adaptiert. Die Vorpremieren stehen an, und Riggan, der selbst mitspielt und inszeniert, sieht sich nicht nur von Visionen seines Superhelden-Alter-Egos und von Lampenfieber heimgesucht. Er hat zwischen Garderobe und Bühne des altehrwürdigen New Yorker St. James Theatre mit Manager, Mitwirkenden und Angehörigen auch weltliche Probleme zu bewältigen.

Birdman, so wie Riggans Glanzrolle, heißt der aktuelle Film von Alejandro González Iñárritu: Der Mexikaner wurde mit Filmdramen wie Babel oder 21 Gramm berühmt, die die Verwerfungen der globalisierten Gegenwart in allzu kunstvoll arrangierte Zufallsverkettungen übersetzten. Bei den Filmfestspielen in Venedig überraschte Iñárritu vergangenen Herbst deshalb einigermaßen, als er mit Birdman oder Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit nun eine rasante, aber vergleichsweise kompakt gehaltene Backstage-Komödie vorstellte. Zum Jahresende dominierte der Film die Bestenlisten, aktuell ist er mit neun Nominierungen ein ernst zu nehmender Oscar-Favorit (von den sieben Nominierungen für Babel blieb 2006 allerdings auch nur ein Musikpreis übrig).

Geölte Theatermaschine

Der Regisseur und seine drei Koautoren setzen auf die Qualitäten einer gut geölten, klugen Boulevardtheatermaschine. Die Erzählung wahrt Einheit von Ort, Zeit und Handlung - und zwar auch insofern, als die einzelnen Episoden des Films jeweils in einer ungeschnittenen Aufnahme abrollen und die Übergänge von einer Episode zur nächsten so weich gesetzt sind, dass der ganze Film wie eine einzige Aufnahme wirkt.

Das erzeugt nicht nur dank der Kameraarbeit von Emmanuel Lubezki den Eindruck größter Geschmeidigkeit. Der famose Percussionscore von Antonio Sanchez tut das Seine, und die Architektur des seit 1927 in Betrieb befindlichen Theatergebäudes kommt diesem Konzept ebenfalls entgegen. Die Dringlichkeit des Gesagten wird in Steadicamgängen noch unterstrichen. Das Treppauf-Treppab hinter der Bühne spiegelt Befindlichkeiten. Und für ein irrwitziges Slapsticksolo von Riggan spielt die Lage am Broadway ebenfalls eine wichtige Rolle.

Weibliche Sparringpartner

Die konzentrierte Spannung, die die durchgespielten Sequenzen dem Ensemble abverlangen, überträgt sich aufs Publikum. Die Besetzung ist hochkarätig, Naomi Watts, Emma Stone, Amy Ryan, Andrea Riseborough geben die weiblichen Sparringpartner. Zach Galifianakis den Manager.

Am stärksten bleiben die Zweikämpfe von Keaton und Spargeltarzan Edward Norton in Erinnerung, die auch physisch ausgetragen werden. Man kann auch sagen, Birdman ist ein Film über Schauspieler bei der Arbeit, der Hollywoodstars mit künstlerischem Anspruch eine adäquate Bühne gibt, wo sie im Performen total aufdrehen können und dann auf den Punkt das Register wechseln. Szenenapplaus.

Auf der diskursiven Ebene gibt es fortwährend solche Verwischungen - nicht nur weil Riggan von Michael Keaton verkörpert wird: Der stand bekanntlich 1989 und 1992 für Tim Burton als Batman vor der Kamera. Das klingt so ähnlich wie Birdman, und dieses Spiel mit Referenzen betreibt der Film halbwegs ernsthaft (ja, wir werden tatsächlich von Superheldenfilmen überschwemmt) und albern gleichermaßen. So oder so macht das großen Spaß. Wahrscheinlich auch, weil es sich in genau jenem Mainstreamrahmen bewegt, der so schnell keinen ausschließt. Birdman imitiert den Gestus des nerdigen Referenzierens nur.

Das kalifornische Animationsfilmstudio Hanna-Barbera (Tom & Jerry, Familie Feuerstein u. a.) hatte übrigens ab 1967 tatsächlich einen Comic-Helden namens Birdman im Angebot. Zur selben Zeit wie diese TV-Serie machte ein animierter Spiderman im US-Fernsehen Furore. Dass man sich heute vor allem an Letzteren erinnert, das passt irgendwie auch schön in die tragikomische Logik von Iñárritus sehenswertem Film. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 29.1.2015)