Auf die Meisterschaft Bob Dylans als Songwriter kann man sich schnell einigen. Mit der des Sängers wird die Sache schon komplizierter. Dass Dylan mit seinen gefeierten letzten Studioalben fast alles richtig zu machen schien, liegt nicht zuletzt daran, dass er die Songs für seine scheinbar irreparabel angeschlagene Stimme zurechtgezimmert hat.

Mit seinem 36. Studioalbum begibt sich Dylan nun auf das Glatteis des Great American Songbook, das schon viele alternde Rockstars verlockt hat und nur wenige eine gute Figur machen lässt. Zehn Songs aus dem Repertoire von Frank Sinatra, der heuer seinen 100. Geburtstag feiern würde, hat Dylan für Shadows in the Night eingespielt und ein paar Fallstricke klugerweise gleich von vornherein aus dem Weg geräumt.

Suicide Songs

Es sind nicht die untrennbar mit ihrem Sänger verbundenen Hits des späten Sinatra, man denke an My Way oder New York, New York, die hier zum Zug kommen, sondern das frühe Werk, von Obskuritäten wie Stay with Me aus Otto Premingers Film The Cardinal bis zum viel gecoverten Jazz-Standard Autumn Leaves. Die Hälfte der Songs findet man auf Sinatras Balladensammlung Where Are You? (1957) und dessen Fortsetzung No One Cares (1959). "Suicide Songs" hat Sinatra den Inhalt dieser Konzeptalben genannt, die ums Verlassenwerden, um ungestilltes Verlangen kreisen und Bilder von einsam in ihr Whiskyglas starrenden Männern evozieren.

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Frank Sinatra hat viele seiner klassischen Einspielungen in den Studios des Capitol Tower in Hollywood aufgenommen. Ebendort ist jetzt auch Dylans Shadows in the Night entstanden.
Foto: AP/Herman-Leonard

Statt die an klassischer Musik orientierten Arrangements von Gordon Jenkins zu kopieren, hat Dylan die Songs von der Streicherüppigkeit befreit und allein mit seiner wandlungsfähigen, fünfköpfigen Tourband live im Studio eingespielt. An die Stelle der Geigen treten der Schmelz der Pedal-Steel-Klänge von Donnie Herron und Tony Garniers anschmiegsame Basslinien, nur drei Songs werden von einem kleinen Bläsersatz verstärkt. Was Dylan mit Sinatra teilt, sind der Aufnahmeort in Hollywoods Capitol Tower und der legendäre Toningenieur Al Schmitt, der Dylan und seinen Begleitern so nahe gerückt ist wie niemand zuvor. Das Rutschen auf den Gitarrensaiten ist in diesem intimen Setting mitunter ebenso zu hören wie Dylans Atemzüge in den Gesangspausen. Doch nicht nur in der Aufnahmetechnik scheint ein Schleier gelüftet worden zu sein, es ist Dylans im Fokus stehende Stimme selbst, die eine unvermutete Geschmeidigkeit zurückgewonnen hat.

Arbeitete einst mit Frank Sinatra im Studio zusammen und nun mit Bob Dylan: Tontechniker Al Schmitt im Interview.
Stephen Peeples

Zwar ist aus Sandpapier kein Samt geworden, gerade ihre Brüchigkeit und unverstellte Humanität macht ja den Charakter von Dylans Stimme aus. Von jeher ist diese nicht an Belcanto-Kriterien oder der souveränen Stimmtechnik Sinatras, sondern an der Expressivität von Bluessängern wie Howlin' Wolf zu messen. Wie gut sich Dylan aber in den fremden Songs eingerichtet hat, überrascht dann doch.

Zeitlose Emotionen

Es sei für ihn heute leichter, den durch Billie Holiday bekannten, zeitlose Emotionen behandelnden Album-Opener I'm a Fool to Want You zu singen als einen eigenen, in den 60er-Jahren geschriebenen Song wie Queen Jane Approximately, erklärte Dylan in seinem einzigen aktuellen Interview. Und tatsächlich hat Dylan, lange Jahre ein unermüdlicher Dekonstruktivist und Neuerfinder, bei den Konzerten seiner Never Ending Tour seine größte Zärtlichkeit oft Cover-Versionen vorbehalten.

Wärme schimmert im Vortrag auf Shadows in the Night ebenso durch wie Melancholie und Humor. Nimmt Dylan die Melodiekurve manchmal auch erst im letzten Moment - er nimmt sie. Oder er lässt kleine Unebenheiten, noch immer Musikant und nicht Virtuose, ganz einfach stehen.

Als Atout hat Dylan sein nach wie vor untrügliches Gespür für Timing im Ärmel. Es war Sinatras Crooner-Kollege Tony Bennett, der einst von Dylans Phrasierungskünsten schwärmte. Und warum den Ton perfekt halten, wenn das Abgleiten in einen Seufzer der stärkere Ausdruck von Emotion ist?

Mehr denn je ist Dylan, der die Bühne heute stets im Outfit eines den Mississippi rauf und runter fahrenden Riverboat-Gamblers betritt, ein Beschwörer einer versinkenden, mythischen Welt. Dazu gehört auch das Great American Song Book, das Dylan einst in den 60er-Jahren als Singer-Songwriter für seine Generation in die Schranken gewiesen hat.

Am Ende von Dylans Reise durch die nokturne Liederwelt Frank Sinatras, die dem Sänger Bob Dylan einen ungeahnten Höhenflug beschert, holt der ewige Trickster noch einmal kräftig aus und schmettert steinerweichend den schon öfter auch live dargebotenen Klassiker That Lucky Old Sun. Wessen Augen da trocken bleiben, hat kein Herz. (Karl Gedlicka, DER STANDARD, 31.1./1.2.2015)

Foto: Paolo Brillo

Kopf des Tages: Für immer Sprachrohr seiner Generation

Protestsänger und Sprachrohr einer Generation: Diese ungeliebten Etiketten verfolgen Bob Dylan bis heute. Dabei hat der am 24. Mai 1941 in Duluth, Minnesota als Robert Allen Zimmerman geborene Musiker alles getan, um sich diesen am Anfang seiner Karriere aufgebürdeten Rollenbildern zu entziehen.

Dem Durchbruch als Singer-Songwriter in der Folkszene des New Yorker Greenwich Village Anfang der 60er-Jahre folgten im Schnelldurchlauf der als Hochverrat empfundene Griff zur elektrischen Gitarre, Metamorphosen als Country-Rocker und "born-again Christian". Vereinzelte Versuche, an die MTV-Generation anzuschließen, ließen Dylan in den 1980er-Jahren nicht immer gut aussehen.

In musikalischer Hinsicht spannend wurde es 1988, als Dylan mit einer kleinen Rock-Combo jenes Projekt in Angriff nimmt, das als Never Ending Tour mit über 100 Konzerten pro Jahr bis heute andauert. Verstand es Dylan, mit radikalen Neuinterpretationen sein Publikum ebenso zu begeistern wie zu verstören, hielt sich das mediale Echo zunächst gleichermaßen in Grenzen.

Das sollte sich schlagartig ändern, als Dylan 1997 lebensgefährlich erkrankte. Noch im selben Jahr meldete sich der genesene Musiker mit den neuen Songs von Time Out of Mind zurück. Seitdem kann der als "national treasure" entdeckte Künstler offenbar nichts falsch machen, egal ob er ein Weihnachtsalbum (Christmas for the Heart) einspielt, eine Autobiografie (Chronicles, Vol. 1) verfasst, eine eigene Radiosendung (Theme Time Radio Hour) moderiert oder Bilder malt. Nebst jeder Menge Grammys kassierte er in den letzten Jahren einen Oscar und einen Pulitzer-Preis. Die "Presidential Medal of Freedom" nahm er von Barack Obama entgegen, ohne auch nur die Sonnenbrille abzunehmen. Am kommenden Freitag wird Dylan u. a. von Bruce Springsteen und Ex-Präsident Jimmy Carter als "MusiCares Person of the Year" geehrt.

Für Störfeuer sorgen allenfalls immer wieder auftauchende Plagiatsvorwürfe. Doch für einen in der Folk- Tradition verankerten Meisterdieb und Trickster ist auch das kein echtes Problem.

Und jetzt also mit Shadows in the Night ein Album mit Sinatra-Songs. Das einzige Interview dazu, in dem er auch übers Altern spricht, hat der 73-Jährige dem US-Senioren-Magazin AARP gegeben. Da ist es es wieder, das Sprachrohr seiner Generation! (Karl Gedlicka, DER STANDARD, 31.1./1.2.2015)