Ein Ruheraum im Tageszentrum für obdachlose Frauen, "Ester".

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Kurto Wendt, Michaela Moser, Gabriele Mechovsky und Moderatorin Marty Huber.

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Armut heißt für viele Frauen den Schein zu wahren. Ob durch eine ständige Unterschlupfsuche bei praktisch Fremden, ob durch eine besondere Achtsamkeit auf saubere Kleidung, ob als Mütter, deren Kinder sich sofort das Jugendamt annehmen würde, wäre die prekäre Lage der Frauen offenkundig. Für diesen Schein nehmen viele Frauen einiges in Kauf, von völliger Abhängigkeit vom Partner bis zum Verharren in gewalttätigen Beziehungen. Die Formulierung "verdeckte Wohnungslosigkeit" klingt für Gabriele Mechovsky daher etwas zu "harmlos", sagt sie. Mechovsky leitet "Ester", das Tageszentrum für wohnungslose Frauen im sechsten Wiener Gemeindebezirk, und diskutierte am Montagabend mit Michaela Moser von der Armutskonferenz und Kurto Wendt, Aktivist (unter anderem bei der "Bettellobby") und Buchautor. Moderiert wurde von der Aktivistin Marty Huber.

Die Diskussion mit dem Titel "Ein Zimmer für sich allein – Ein Frauenrecht auf Wohnen in Zeiten der Wohnungskrise" war der Auftakt zu einem Veranstaltungszyklus zum Thema Wohnungslosigkeit von Frauen, den das Kulturvermittlungsbüro trafo.K in Kooperation mit Ester gestaltet. Neben mehreren Veranstaltungen wird zum textilen Werken ins Ester geladen, wo obdachlose und nicht obdachlose Frauen an einem gemeinsamen Quilt arbeiten. Im besten Fall sollen dabei Empathie, Austausch und Solidarität herauskommen – neben einem fertigen Quilt.

Wohnungspolitik in der Kritik

Bei achtzig Prozent der obdachlosen Frauen sei nicht erkennbar, dass sie keine fixe Unterkunft haben, sagt Mechovsky. Unsichtbar ist aber nicht nur die Obdachlosigkeit von Frauen, sondern Armut generell, wie Michaela Moser ausführt. Die Armutsstatistiken basieren auf Haushaltseinkommen und gehen davon aus, dass dieses im Haushalt gleich verteilt ist. Der Realität entspreche das in vielen Fällen nicht.

Der Entwicklung der Wohnungspolitik standen alle DiskutantInnen sehr kritisch gegenüber. Wendt, der einen Roman über eine Gruppe von AktivistInnen geschrieben hat, die sich kollektiv gegen die Immobilienindustrie stemmen, vergleicht den heutigen finanziellen Wohnungsaufwand mit dem des Roten Wien in den 1920er-Jahren. Damals hätte man vier Prozent des Einkommens für das Wohnen aufgewendet, heute seien es für von Armut Betroffene zwischen 40 und 50 Prozent. Für BettlerInnen seien es sogar 70 bis 80 Prozent.

Billig seien heute nicht mal die Notschlafstellen in Wien, auch wenn zwei Euro pro Nacht in einem Sechsbettzimmer zunächst nach nicht viel klingt: "Dieser Raum kostet 360 Euro im Monat, ein Raum mit sechs Betten, den man in der Früh wieder räumen muss – das ist wirklich viel", sagt Wendt. "Die Stadt Wien ist gut darin, ihre Sozialleistungen zu verkaufen", sagt er. Letztlich sei es aber vor allem "Mittelstandsförderung". Auch würden zu viele vom Zugang zu Gemeindewohnungen ausgeschlossen sein: Die Vorgabe, mindestens zwei Jahre eine fixe Wohnadresse in Wien zu haben, sei gerade für die Ärmsten, die die Unterkünfte bei Verwandten oder Bekannten mehrmals wechseln müssen, unmöglich zu erfüllen.

Mehr Bewusstsein über die Rechtslage

Dass es mehr und besseren Zugang zu billigen und kleinen Wohnungen geben sollte, betonte auch Mechovsky.

Was also tun für mehr billigen Wohnraum und gegen Obdachlosigkeit? Mehr Bewusstsein über die Rechtslage schaffen, sind sich Wendt und Moser einigt. Noch viel zu wenige würden gegen überteuerte Mieten vorgehen, indem sie sich an Vereine für den MieterInnenschutz wenden, um ihren Mietzins überprüfen zu lassen. Michaela Moser betonte unter Zustimmung der anderen Podiumsgäste auch die Kooperation zwischen drei verschiedenen Gruppen: den HausbesetzerInnen, der "sozialen Szene" – etwa NGOs oder politische Initiativen – und kollektivierten Wohnprojekten. Zwischen diesen Gruppen gebe es derzeit noch zu wenig Kontakt, sagt Moser. Eine enge Zusammenarbeit könnte aber im Kampf gegen Wohnungslosigkeit einiges bewirken. (beaha, dieStandard.at, 27.1.2015)