Trotz der wachsenden internationalen Anerkennung, die ein unabhängiger palästinensischer Staat zuletzt erhielt, glaubt die palästinensische Politologin und Autorin Leila Farsakh nicht an die Umsetzung der Zweistaatenlösung in Nahost.

derStandard.at: Schweden hat für eine formale Anerkennung eines palästinensischen Staates gestimmt, das britische Unterhaus, der irische Senat sowie das spanische und das französische Parlament befürworteten die Anerkennung ebenfalls. Wie beurteilen Sie diese Entwicklungen?

Farsakh: Die internationale Anerkennung eines palästinensischen Staates ist sehr gut, da damit auch die Anerkennung des Rechts auf Selbstbestimmung der Palästinenser einhergeht. Aber ich glaube leider, dass der Konflikt mit der Ausrufung eines Staates nicht beendet sein wird. Jedes funktionierende politische Programm bräuchte eine Art Verbindung zwischen Israel und Palästina. Die Möglichkeit, die sich am besten umsetzen lässt, ist ein binationaler Staat.

derStandard.at: Wie könnte dieser binationale Staat aussehen?

Farsakh: Es wäre eine parallele Staatsstruktur, sowohl Israel als auch Palästina müssten anerkannt werden. Die lokale Regierungsstruktur würde bestehen bleiben, gleichzeitig gäbe es eine gemeinsame Verteidigungs- und Außenpolitik. Dafür müssen die beiden Seiten einander natürlich zunächst vertrauen. Die Frage ist, wie man Vertrauen aufbauen kann, wenn die Vergangenheit von so viel Gewalt geprägt war.

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Eine Mauer trennt das palästinensische Flüchtlingslager Shuafat (rechts) von dem israelischen Stadtteil Pisgat Ze'ev (links) in Jerusalem.
Foto: EPA/ABIR SULTAN

derStandard.at: Wie realistisch ist es außerdem, dass Israel dieser Variante zustimmt? Oft wird in diesem Zusammenhang kritisiert, dass die Israelis zu einer Minderheit in ihrem eigenen Staat werden würden.

Farsakh: Das ist eigentlich kein Argument. In einem demokratischen Staat haben Minderheiten in der Regel volle staatsbürgerliche Rechte, eine Dominanz durch eine andere zu ersetzen würde keinen demokratischen Staat schaffen.

derStandard.at: Halten Sie es für wahrscheinlich, dass die Hamas einem gemeinsamen Staat zustimmen würde?

Farsakh: Ich glaube, ein demokratischer Staat in dem Muslime, Juden und Christen gleichberechtigt leben, wäre für die Hamas akzeptabel. Aber mit Sicherheit kann ich das nicht sagen, da ich mit keinen Hamas-Führern gesprochen habe.

derStandard.at: Wie schätzen Sie die Unterstützung der Israelis für die Einstaatenlösung ein?

Farsakh: Vor allem intellektuelle Juden und Jüdinnen in der Diaspora setzen sich für die Einstaatenlösung ein. Die palästinensischen Einwohner Israels unterstützen sie ebenfalls, aber die Mehrheit der Israelis ist dagegen, weil sie davon ausgehen, einen "jüdischen Staat" zu brauchen.

derStandard.at: Wie stehen die Einwohner des Gazastreifens und des Westjordanlands zu dem Vorschlag?

Farsakh: In einer Umfrage unter 800 Palästinensern im Gazastreifen, dem Westjordanland und auch auf israelischem Gebiet sprach sich die Mehrheit dagegen aus, weil sie die israelische Dominanz fürchtet. Zudem sagten etwa 60 Prozent, dass Israel den Vorschlag ohnehin ablehnen würde. Einige halten die Idee für utopisch, auch weil die internationalen Bemühungen derzeit auf eine Zweistaatenlösung hinarbeiten. Wichtig ist aber, dass in der Debatte um eine Lösung die Rechte im Vordergrund stehen sowie die Verantwortung eines Staates für seine Bürger.

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Ein israelischer Soldat überwacht die Zerstörung eines palästinensischen Hauses am Stadtrand von Hebron im Westjordanland Anfang Jänner. Es sei illegal erbaut worden, sagen israelische Behörden.
Foto: EPA/ABED AL HASHLAMOUN

derStandard.at: Warum halten Sie eine Zweistaatenlösung nicht für die bessere Option, wenn es für die Einstaatenlösung nur wenig Unterstützung gibt?

Farsakh: Die Palästinenser haben in den letzten 20 Jahren versucht, einen Staat zu schaffen, es gibt die Strukturen dafür. Doch das Projekt eines palästinensischen Nationalstaats ist gescheitert. Die Frage, ob es noch eine Option ist, stellt sich nicht – Israel macht es zu keiner Option. Es gibt zwar die rechtlichen Grundlagen dafür, aber solange Israel den Siedlungsbau vorantreibt, wird die Zweistaatenlösung verhindert. Und wenn es keine Zweistaatenlösung gibt, haben wir eine Einstaatenrealität, die nun eben demokratisch werden muss – zu einer Union, die bessere Rechte gewährleistet.

derStandard.at: Welche Rolle spielt der jüngste Gaza-Krieg in diesem Zusammenhang?

Farsakh: Der Krieg hat die Immunität, unter der Israel agiert, noch einmal deutlich gemacht. Israel wurde wegen der Verbrechen in Gaza nicht zur Verantwortung gezogen.

derStandard.at: Israel plädiert auf Selbstverteidigung.

Farsakh: Die Fakten sprechen eine andere Sprache. Mehr als 2.000 Menschen wurden im Gazastreifen getötet, die gesamte Infrastruktur wurde zerstört, und noch heute befindet sich die Region im Belagerungszustand.

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Gebet am vergangenen Freitag vor einigen im Gaza-Krieg zerstörten Häusern in Shejaia östlich von Gaza-Stadt.
Foto: REUTERS/Suhaib Salem

derStandard.at: Die Palästinenser wollen dem Internationalen Strafgerichtshof beitreten, auch um Verbrechen des Gaza-Kriegs aufzuarbeiten. Wie beurteilen Sie diese Entscheidung?

Farsakh: Ich halte das für einen guten Schritt, aber ich glaube nicht, dass dadurch alle Probleme gelöst werden. Es ist ein guter Weg des gewaltlosen Widerstands, aber dadurch wird nicht genug Druck auf Israel ausgeübt.

derStandard.at: Müsste die internationale Gemeinschaft handeln?

Farsakh: Eine internationale Truppe könnte zum Beispiel den Rückzug Israels aus dem Westjordanland und Gaza beaufsichtigen oder sicherstellen, dass das Rückkehrrecht umgesetzt wird. Die Mechanismen stünden bereit, was fehlt, ist der Druck. Anerkennung auf internationaler Ebene ist sehr wichtig, aber ohne politischen Druck auf Israel wird das nichts bringen. Es wird dem Bestreben nach einem eigenen palästinensischen Staat nur seinen Inhalt und seinen Nutzen rauben. (Noura Maan, derStandard.at, 2.2.2015)