Der eine erschien grau, düster, nervös. Der andere ruhig, heiter, fast schon gelöst, als ob der Job, um den er sich bemühte, auch nur irgendetwas Attraktives hätte: Antonis Samaras, der Statthalter des europäischen Sparprogramms für Griechenland, musste diese Wahl verlieren. Alexis Tsipras aber, der nun der neue griechische Regierungschef ist, wollte sie gewinnen. Ideologisch mag er sich kein Stück wegbewegt haben von seiner Position am linken Rand der politischen Karte. Doch den Großteil seiner Wähler interessiert das nicht. Nach fünf Jahren Sparkurs wollen sie einen neuen Politiker ausprobieren, einen wie Tsipras.

Mit diesem inneren Missverständnis geht Griechenland nun in die Verhandlungen um eine Erleichterung seiner Schuldenlast. Noch tun die anderen Europäer so, als ob sie das alles nichts anginge. Hilfe ohne Gegenleistung gebe es nicht, heißt es wieder, als ob die Griechen umsonst Kredite einstecken und Schulden streichen wollten. Samaras' Niederlage in Griechenland ist aber ebenso eine Niederlage der Kreditgeber der Eurozone. Die Geschichte vom neuen Wirtschaftswachstum durch immer weiteres Sparen und höheres Besteuern glaubt ihnen niemand mehr in Griechenland.

Syriza, die Koalition der Radikalen Linken, die Tsipras anführt, hat nun die reale Welt betreten. Die mit den vier Grundrechenarten und den europäischen Regierungspolitikern, die weit entfernt vom Geist der Union der 1980er- und 1990er-Jahre Solidarität nur üben, wenn sie wenig kostet und keine Wahlen gefährdet. Griechenlands Linke wird die Mathematik akzeptieren müssen, doch ihre Chancen, bessere Konditionen für die Finanzhilfe herauszuschlagen, sind nicht so schlecht.

Tsipras' Ideologiefixiertheit ist auch ein Trumpf. Griechenlands neuer Regierungschef hat nichts mit dem alten politischen System der Jahrzehnte hindurch hin und her wechselnden Machthaber zu tun. Es gibt keine Skandale - zumindest sind keine bekanntgeworden - und keine politischen Verpflichtungen. Letzteres gilt auch für die Verhandlungen mit den Europäern, die Syriza ansteuert. Tsipras ist nicht Teil der bürgerlich-konservativen oder sozialdemokratischen Regierungsfamilien in der EU. Er kann befreiter auftreten, als es Samaras oder sein Vorgänger Giorgos Papandreou konnten. Dass Griechenlands Linke deshalb aber tatsächlich den Neuanfang schafft, den sie ihren Landsleuten verspricht, ist keineswegs sicher.

Schon ohne die enorme Aufgabe des Schuldenumbaus und der Wirtschaftskrise wäre die Regierungsübernahme dieser Linken ein schwieriges Unternehmen. In Regierungsgeschäften ist sie unerfahren, für die Institutionen des griechischen Staats ist sie eine Herausforderung. Ein großer Teil der Medien - vor allem natürlich der öffentlichen - ist mit den zwei Parteien des alten Systems verbunden, der Nea Dimokratia und Pasok. Den Polizeiapparat hat die Linke bisher als Gegner gesehen; sie wird erst eine Arbeitsbasis finden müssen. Der Rückhalt in der Ministerialbürokratie für Syriza ist ungewiss, auch wenn die Linke einen Teil der Beamten hinter sich weiß, gegen deren Entlassung sie ankämpfte. Absehbar sind Konflikte mit der orthodoxen Kirche und über neue außenpolitische Akzente.

Die Koalition mit einer rechtspopulistischen Kleinpartei macht all das noch schwieriger. Tsipras' Regierung ist neuartig, aber nicht stabil. (Markus Bernath, DER STANDARD, 27.1.2015)