"Es besteht eine gewisse Zurückhaltung und eine Reserve gegenüber der Digitalisierung des Hörfunks", beobachtet Marcel Regnotto vom Schweizer Bundesamt für Kommunikation in Österreich.

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Wien - Wenn sich öffentlich-rechtliche und private Sender gemeinsam ein Ende von analogem Antennenradio wünschen: Marcel Regnotto von der Schweizer Medienbehörde referiert Dienstag in Wien bei der österreichischen "Digitalen Plattform" über Digitalradio in der Schweiz - und warum sich selbst die SRG für überregionale Konkurrenz erwärmen kann.

STANDARD: In der Schweiz läuft tatsächlich schon der Countdown für den Abschied von Ukw? Das klassische analoge Radiosignal soll mit 2024 verstummen?

Regnotto: Ganz so ist das nicht - jedenfalls noch nicht: Eine Arbeitsgruppe aus der Radiobranche hat ein Szenario entwickelt, wonach Ukw spätestens 2024 abgeschaltet ist. Das bedeutet aber noch nicht, dass unsere Regierung diesen Plan schon übernommen hat. Es ist ein Vorschlag aus der Branche, der auf diesen Termin hinsteuert und ein ganzes Szenario skizziert, wie man zu diesem Punkt kommt. Aber: Die Regierung hat noch nicht auf den roten Knopf gedrückt. Das steht noch bevor.

STANDARD: Liegt eine Reaktion der Regierung dazu vor, eine Meinung darüber?

Regnotto: Nicht der Regierung, aber des zuständigen Ministeriums. Es signalisiert Wohlwollen für eine Lösung, die von der Branche getragen ist.

STANDARD: Das ist der Vorschlag ja offenbar.

Regnotto: Ich glaube, es ist in Europa relativ einmalig, dass sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit den Verbänden des privaten Rundfunks, kommerziell wie nicht kommerziell, hinter einem Projekt geschart hat. Das wird vom Ministerium begrüßt. Aber zum Inhalt hat es sich noch nicht geäußert. Voraussichtlich in den kommenden Monaten wird der Vorschlag intern analysiert, und wohl im Laufe des Jahres 2016 werden dann Nägel mit Köpfen gemacht.

STANDARD: Was ist die Idee hinter dem Abschied von analogem Ukw-Signal und dem Komplettumstieg auf digitales Radio?

Regnotto: Dahinter stehen unterschiedliche Interessen - der öffentlichen Hand und der Veranstalter selbst. Der Bundesrat, unsere Regierung, hat schon 2006 bekanntgegeben, dass Ukw für ihn ein Auslaufmodell ist, dass diese Technologie keine Zukunft hat, und dass die Zukunft des Radios digital sein wird. Damals sprach man nur von DAB, heute sind DAB+ und IP-Radio Thema. Es führt aber kein Weg daran vorbei, dass sich DAB+ in der Schweiz langsam, langsam durchsetzt.

STANDARD: Das Interesse hängt wohl auch am Angebot auf DAB+ - gibt es schon alle Sender digital?

Regnotto: Mehr als die Hälfte der privaten Radios sendet schon parallel auf Ukw und DAB+, der öffentlich-rechtliche Rundfunk schon all seine Programme. Es wird wohl darum gehen, die Rollen von DAB und IP-Radio zu kombinieren.

STANDARD: Jetzt haben wir aber noch nicht geklärt: Wozu eigentlich Digitalradio?

Regnotto: Das öffentliche Interesse an Digitalradio ist, die Angebots- und Meinungsvielfalt zu mehren. Das gibt Ukw nicht her.

STANDARD: Kurz gesagt: Digital bringt mehr Übertragungskapazität für Sender.

Regnotto: Genau. Die Privatsender haben einerseits ein ökonomisches Interesse: Man kann damit Verbreitungskosten einsparen. Und man kann andererseits neue Dienstleistungen anbieten mit dem Hörfunksignal.

STANDARD: Wie zum Beispiel Text- und Bildangebote.

Regnotto: Dazu kommt drittens: Es gibt in der Schweiz lokale Privatsender, aber keine nationalen, die eine ganze Sprachregion abdecken. Das hat bisher nur der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Dank DAB ist es erstmals möglich, dass sich der private Hörfunk technisch auf Augenhöhe mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk messen kann.

STANDARD: Und dafür kann sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk begeistern? Das überrascht nun doch ein bisschen.

Regnotto: Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk bedeutet Digitalradio statt Ukw massive technische Einsparungen. Und Digitalradio gibt ihm die Möglichkeit, Schweiz-weit eine größere Programmpalette auszustrahlen, als ihm das via Ukw möglich ist. Und der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist so clever, dass die Einführung einer neuen Technologie nur funktioniert, wenn seine Programme ebenso dabei sind wie private. Deshalb hat sich hier eine große Koalition gebildet von Ukw-Veranstaltern, von Internetradios, die gerne via DAB verbreitet werden möchten, und von öffentlich-rechtlichem Rundfunk.

STANDARD: Da werden die Karten im Radiomarkt aber neu gemischt.

Regnotto: Genau. Ich denke, es ist inzwischen für die ganze Branche Fakt, dass die Digitalisierung die Gewichte verschieben wird. Und bevor sie eine solche Verschiebung nach staatlichen Vorgaben erleidet oder erduldet, nimmt die Branche lieber das Heft in die Hand und sagt, wie sie sich das vorstellt.

STANDARD: Wieviele Menschen oder Haushalte nutzen denn schon DAB+-Geräte für ihren Radioempfang? Ukw vermutlich 98 bis 99 Prozent.

Regnotto: Wir wissen, dass etwa 1,7 Millionen DAB-Empfänger gekauft worden sind. Nun kann man mutmaßen, wieviele Menschen diese Empfänger benutzen. Es sind wohl mehr als 1,7 Millionen. Pro Empfangsgerät kann man 1,5 Personen rechnen, da kommt man auf etwa 2,5 Millionen. Es gibt noch keine DAB-Empfangsmessung.

STANDARD: Sie referieren ja am Dienstag in Wien bei der Plattform für Digitalrundfunk. Bringen Sie guten Rat für die österreichischen Sender und vielleicht auch die Medienpolitik mit?

Regnotto: Es ist nicht an mir, der österreichischen Radiobranche Vorschläge zu erteilen. Aber diese Digitale Plattform gibt es in Österreich ja schon einige Zeit; Gerd Bauer, der Hörfunkbeauftragte der deutschen Medienanstalten, und ich sind quasi korrespondierende Mitglieder dieser Plattform. Wir berichten regelmäßig über die Entwicklungen aus Deutschland und der Schweiz. Und wir merken, dass in Österreich die Situation, vielleicht auch der ganze Markt ein bisschen anders ist. Es besteht eine gewisse Zurückhaltung und eine Reserve gegenüber der Digitalisierung des Hörfunks.

STANDARD: Kann man aus der Schweizer Erfahrung lernen - wenn man das möchte?

Regnotto: Was sich aus meiner Warte in der Schweiz bewährt hat, ist wirklich eine Branchenlösung, ein Zusammenschluss der Veranstalter der verschiedenen Kategorien, öffentlich-rechtlich, privat, privat und nicht-kommerziell, plus Geräteindustrie plus Handel und Importeure - plus, nicht zu vergessen, die Automobilindustrie. Wenn es einen Weg gibt, führt er über eine konzertierte Aktion - die aber auch klare Signale des Regulators voraussetzt. Wenn die Branche nicht weiß, wohin die Politik steuert, ist sie ein bisschen hilflos.

STANDARD: Das heißt, auch die Politik, auch die Medienbehörde muss sagen, wohin die Reise gehen soll?

Regnotto: Genau - über das Wie sollten sich dann alle einigen.