Reden ist Silber...

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Wer hätte in seinem Leben wohl noch nicht erfahren wie sehr die Kunst des Schweigens im richtigen Moment ein Teil der Kunst der Kommunikation ist. Zu wissen, wann im Interesse der Sache der Zunge Einhalt zu gebieten ist, erspart so manchen Verdruss und oft genug auch spätere Reue.

Der vermutlich um 577 auf Sizilien geborene und im Januar 681 über hundertjährig als Papst in Rom verstorbene Benediktinermönch Agatho scheint so von dieser Erkenntnis durchdrungen gewesen zu sein, dass er drei Jahre lang einen Stein im Mund trug, um schweigen zu lernen. Und um sich in Geduld gegen den Zorn zu üben, der ihn zu übermannen drohte.

Ganz in diesem Sinne rät ein altes Sprichwort "Es soll einer neunmal ein Wort im Munde umdrehen, eh er es sagt." Knapp, dabei bildhaft und eindringlich fasst eine talmudische Weisheit aus dem 3. Jahrhundert all das zusammen: "Das Wort gleicht einer Biene: Es hat Honig und Stachel."

Janusköpfigkeit der Worte

Wie kein Zweiter hat sich ein Mann mit dieser Janusköpfigkeit der Worte auseinandergesetzt: der Hamburger Psychologieprofessor Friedemann Schulz von Thun. Seine Trilogie "Miteinander reden" dürfte nicht nur das gehaltvollste und meist gelesene Standardwerk zum Thema sein, sondern wohl auch das meist geplünderte. Und so weist der Tübinger Medienwissenschafter Bernhard Pörksen mit Fug und Recht darauf hin, dass die von Schulz von Thun entwickelten Modelle und Konzepte das Nachdenken über Kommunikation verändert haben.

"Man denke nur an das Kommunikationsquadrat und den Verweis auf die vier Seiten einer Äußerung." Den Sachinhalt, den Beziehungsaspekt, einen Appell und immer auch eine Selbstkundgabe. Eine Tatsache, die nicht zuletzt auch erklärt, weshalb so manche Reaktion auf Gesagtes so gänzlich anders ausfällt als erwartet. Und weshalb nicht nur der berühmte Ton die Musik macht, sondern auch die Formulierung, denn, so Schulz von Thun, der Adressat des Gesagten hört auch mit dem Sach-, dem Beziehungs-, dem Appell- und auch dem Selbstkundgabe Ohr. Für Pörksen ist Schulz von Thun "zu einem der wichtigsten Stichwortgeber einer modernen Psychologie und Kommunikationsphilosophie geworden." Aus dieser Sichtweise heraus schien es Pörksen reizvoll, "die Entstehungsgeschichte seiner Kommunikationspsychologie (…) in Form einer kleinen intellektuellen Biografie (…) zu präsentieren."

Pörksen überzeugte Schulz von Thun von dieser Idee und so fanden sie sich zusammen, um in einem weiten Sinn über Kommunikation zu philosophieren und auch einen weiten Horizont abschreitend über das Kommunizieren zu fabulieren. Und das eine wie das andere rechtfertig den Buchtitel: "Kommunikation als Lebenskunst".

Nach Aristoteles ist der Mensch ein "zoon politicon", ein soziales, politisches Wesen. Abgesehen von zum Schweigen verpflichteten, in strikter Orientierung auf ihren Gott hin lebenden mönchischen Gemeinschaften, besagt das, um sich in seinem Menschsein zu erfahren, muss der Mensch den Kontakt zu seinen Mitmenschen suchen, er muss sich austauschen. Die Kunst zu leben besteht mithin auch darin, sich im Dialog artikulieren, spiegeln, erkennen und entwickeln zu können.

Gemäß ihrer Zielsetzung haben Pörksen und Schulz von Thun ihr Buch in drei Teile gegliedert. Der erste, zentrale Teil befasst sich mit den großen Fragen der Kommunikation: dem Kommunikationsquadrat, den Maximen der Verständlichkeit, dem Teufelskreis der Beziehungsdynamik, dem Ideal der Stimmigkeit (der Kommunikation), der Kommunikation mit dem inneren Menschen (dem, so Schulz von Thun, inneren Team = unseren meist widersprüchlichen inneren Stimmen), dem Wertequadrat und dem Menschenbild. Hier wird Kommunikation im weitesten Sinn in Werden und Wirken ausgelotet, werden die Fallstricke der Kommunikation aufgezeigt, wird Verständnisarbeitet geleistet.Im zweiten Teil geht es um "die konkreten Fragen".

Thema hier ist die Kommunikationspsychologie für Führungskräfte und für Pädagogen sowie, zunehmend wichtiger in einer gerade diesbezüglich erkennbar dissonanten Welt, die Kommunikationspsychologie und Realitätskonstruktionen in der interkulturellen Kommunikation. Ein abschließender kurzer dritter Teil widmet sich den "letzten Fragen", dem Glück und dem Tod.

Bemerkenswert bei einem Thema, das seinem Wesen nach ganz auf das Hier und Jetzt zielt, unter anderem die Gedanken zum "Ende der Kommunikation", zu "Selbstbestimmung und Schicksalsdemut" und zu der "Gewissheit der Ungewissheit".

Bewusster Umgang

Unverkennbar liegt hier kein wohlfeiler Ratgeber vor. So wichtig und auch unverzichtbar die einschlägigen Bücher sind, der gelegentliche Schritt über das Instrumentelle hinaus, was nichts anderes heißt als die etwas mehr Zeit und Konzentration beanspruchende Auseinandersetzung mit einer Thematik, erst dieser Schritt ebnet den Weg zum tatsächlichen Verstehen und in der Folge zu wirklich bewusstem Umgang mit neuem Wissen.

Wie wichtig es wäre, sich dieser Mühe zu unterziehen und diesen Schritt häufiger zu gehen, offenbaren immer wieder Unternehmenskontakte, in den das seminarmäßig Angelernte aber Unverdaute wenig Freude bereiten. Die heute das Geschehen dominierende beziehungs- und damit seelenlose "Roboterkommunikation" nach dem leicht durchschaubaren Wenn-Wann-Strickmuster ignoriert zutiefst das menschliche Bedürfnis, vom Gegenüber angenommen zu werden, sich aufgehoben zu fühlen. Und diese Ignoranz bewirkt eine immer deutlicher zutage tretende gesellschaftliche Oberflächlichkeit. Die Herrschaft des Geschwätzes ist der Tod der Glaubwürdigkeit. Auf Dauer verträgt das keine Gesellschaft. (DER STANDARD, 31.01./01.02.2015)