Wien - Ja, die gute alte Romantik: Mehr als ein Jahrhundert lang gedieh sie prächtig, wuchs vom zarten Pflänzchen der Empfindsamkeit à la Schubert heran zum robusten, tiefwurzelnden Gefühlsgewächs von Obergärtner Brahms und wucherte in Wagners narkotischer Treibhausatmosphäre zu üppigen Ausmaßen heran. Richard Strauss stieß kurz die Tür auf zur kalten, zugigen Moderne, machte sie aber schnell wieder zu. Ihn fröstelte.

Mit Jean Sibelius, Carl Nielsen und Peter Iljitsch Tschaikowsky luden die Wiener Symphoniker unter der Führung von Jukka-Pekka Saraste zum Romantiktrip in Richtung Skandinavien/Russland. Obwohl - romantisch? Die 1905 uraufgeführte Suite aus der Bühnenmusik Pelleas und Melisande von Jean Sibelius ist eher als Klassizismus zu beschreiben, der man das Präfix "neo" nicht zuerkennen möchte. Carl Nielsens Flötenkonzert von 1926 hingegen scheut Dissonanzen nicht und ist auch sonst ein abwechslungsreich und versiert konstruiertes Werk. Marina Piccinini zeichnete bogenförmige Phrasen und bewies sich als berührende, bannende Erzählerin.

Die Vierte des romantischen Massenbetörers Tschaikowsky dirigierte Saraste mit einer Mischung aus Lässigkeit und Präzision, körpersprachlich erinnerte der Finne nabelabwärts an Cristiano Ronaldo vor einem Strafstoß, darüber mehr an Joe Cocker selig. Saraste schuf filigrane Pianissimi, schob tolle Steigerungen an und baute heftige Höhepunkte. Aber auch beim sattesten Sentiment bewahrte der 58-jährige Chefdirigent des WDR-Symphonieorchesters immer Contenance. Schade eigentlich.

Die Symphoniker? Musizierten im Kollektiv mit Spannkraft, Konzentration, Initiative und maschinengleicher Präzision, sehr fein die Holzbläser. Jubel. Das Programm, das auch in Innsbruck und Bregenz gespielt wurde, wird am 30. Jänner noch einmal im Wiener Konzerthaus zu erleben sein. (Stefan Ender, DER STANDARD, 27.1.2015)