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Die pompöse Skyline von Doha.

Foto: APA/Ghement

Der Hannes war richtig gut drauf, und er lief noch immer mit seinem rotweißrot bemalten Gesicht herum. Am Nachmittag hatte er sich in der Al-Sadd-Halle die Stimme heiser geschrien, als Österreichs Handballer den Aufstieg ins WM-Achtelfinale verbuchten. Und am Abend haben dafür die Handballer "Beim Chef Hannes" vorbeigeschaut. Dort trifft man sich öfter, wenn man Österreicher ist und in Katars Hauptstadt Doha lebt. Hannes ist Chefkoch im "Clubhouse Al Anood" in den Al Jazi Gardens, jener gated community, in der ein guter Teil der ungefähr 400 österreichischen Expatriates wohnt.

Die Al Jazi Gardens umfassen einige hundert nette Wohnhäuser sowie zwei "private" Klubs, in denen sogar Alkohol ausgeschenkt werden darf, mit Swimmingpools, Tennisplätzen, Billardtischen et cetera. Und wenn zum Beispiel das "Austrian Network Qatar" oder das AußenwirtschaftsCenter einladen, um zum Beispiel die Handballer zu feiern, gibt es Wiener Schnitzel. "Immer wieder Österreich", stimmt der Hannes an.

Einladungen im viel größeren Stil sind die katarische Art der Kontaktaufnahme- und -pflege. So müsste den meisten Handball-Geschichten, die derzeit publiziert werden, ein Compliance-Passus hintangestellt sein. Katar hat zumindest zehn Medien jeder WM-Nation eingeladen. Viele Medien, auch viele österreichische, stiegen darauf ein. Der Standard hat das bewusst nicht getan.

Katar zahlt, Katar kauft. Katar kauft nicht nur Berichterstattung, Katar kauft Jubel, und Katar kauft Erfolg. Die teilnehmenden Verbände durften neben Medienleuten auch Fans mitbringen. So unternahmen zwanzig österreichische Handballfreunde einen Abstecher in den, nun ja, arabischen Frühling.

Was ihr eigenes Team betrifft, haben sich die Gastgeber doppelt abgesichert. So sitzen nun spanische Fans auf der Tribüne und jubeln für Katar, ihnen wurden Flug und Aufenthalt bezahlt – die Idee dazu hatte Valero Rivera, Katars spanischer Teamchef. Und im Kader des WM-Gastgebers stehen gezählte vier Kataris, der Rest wurde eingekauft und eingebürgert, aus Kuba, aus Ägypten, Tunesien, Frankreich, Spanien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina. Katars Handballer, das ist der Wille des Emirs, sollen so bald wie möglich zu Olympischen Spielen. Und die Olympischen Spiele sollen so bald wie möglich nach Katar. Das olympische Motto "Höher, schneller, weiter" trifft sich mit dem katarischen Anspruch. Möglichst schnell hoch hinaus.

Viele Testläufe

Schwimm-WM 2014, Handball-WM 2015, Rad-WM 2016, Turn-WM 2018, Leichtathletik-WM 2019. Dazu ein jährliches Golfturnier der, jawohl, European Tour, eine jährliche Radrundfahrt und, und, und. Nur Formel-1-mäßig ist Katar gescheitert, weil Bahrain und Abu Dhabi gegen einen dritten arabischen Grand Prix protestierten. Die vielen Sportevents, die Katar ins Land holt, sind Wegbereiter und Testläufe für die Fußball-WM 2022, mit der Katar wiederum seine Olympia-Tauglichkeit beweisen will.

Ist ein Emirat mit Oberösterreich vergleichbaren Ausmaßen und – neben 1,8 Millionen Gastarbeitern – ungefähr 250.000 Einheimischen für Olympia groß genug? Kein Thema für Katar. Siehe Fußball-WM. Siehe Handball-WM. Drei Hallen wurden errichtet, eine für 5500, eine für 7700, eine für 15.300 Zuseher. Das Handball-WM-Budget liegt offiziell bei 220 Millionen Euro, ist zehnmal so hoch wie jenes der WM 2007 in Deutschland.

Scheich Jooan bin Hamad al-Thani, Bruder des Emirs und WM-Cheforganisator, redet von Nachhaltigkeit und vom baldigen Handball-Boom in Katar. Wie eine katarische Liga für Interesse sorgen soll, wenn die Hallen schon bei WM-Spielen oft leerstehen, sagt der Scheich nicht. Zeitungen wie die "Gulf Times" oder die "Qatar Tribune", die täglich acht- bis zwölf Seiten Sport bringen, fragen lieber nicht nach. Herrscherfamilie ist Herrscherfamilie, und ein Pressegesetz von 1979 ermöglicht Vorabzensur.

Einige Stadien der Fußball-WM immerhin sollen in Modulbauweise errichtet, nach der WM abgetragen und an Entwicklungsländer verschenkt werden. Doch wahrscheinlich werden die meisten Hallen und Stadien einfach stehenbleiben und auf die Olympischen Spiele warten.

"AS&P – Albert Speer und Partner", ein Frankfurter Architektenbüro, entwarf die Fußball-WM-Stadien. Albert Speer (80) – sein Vater war Hitlers Rüstungsminister und Lieblingsarchitekt – verteidigte in einem Spiegel-Interview die Annahme des Auftrags. "Großereignisse", sagte Speer, "machen das Undenkbare denkbar. Es gibt dann keine Tabus." Und doch sei beim Masterplan für die WM 2022 "Nachhaltigkeit im Vordergrund gestanden". Der Weltverband (Fifa) indes verlangt neben zwölf WM-Stadien exakt 112 Trainingsplätze und 88 First-Class-Hotels. Noch einmal, Katar ist so groß wie Oberösterreich.

Viele Imageprobleme

"Too hot, too small, too boring." Das stand, als Speers Projektleiter Stefan Klos in Katar präsentierte, auf der ersten Folie. "So sehen wir euch, und so sieht euch die ganze Welt", habe er dem Emir gesagt. Dieses Image galt und gilt es zu ändern. Also wird "Small" als Vorteil verkauft, weil den Fans weite Reisen erspart bleiben. "Hot"? Die WM wird garantiert verlegt, wahrscheinlich in den November und Dezember. Wenn wegen der Einbußen in einer Zwangspause die großen Ligen aufschreien, wird Katar wieder die Brieftasche zücken. Dann gibt es keine Einbußen mehr. Katar exportiert flüssiges Erdgas im Wert von 80 bis 100 Millionen US-Dollar – täglich.

"Boring"? Das ist sowieso Geschmackssache. Längst stehen große Shoppingmalls in Doha, in einer kann man eislaufen, in einer anderen auf einem künstlichen Kanal mit Gondeln fahren. Es gibt tolle Museen, allen voran jenes für Islamische Kunst. Und es wird an allen Ecken und Enden gebaut. Nicht nur die U-Bahn, nicht nur WM-Stadien. Im Norden der Stadt ist "The Pearl" im Entstehen, eine Luxuswohnanlage auf einer über einen Damm erreichbaren, mehr als 400 Hektar großen Insel. Luxuswohnanlage (für circa 40.000 Menschen) heißt, dass sich etwa um den Hafen Porto Arabia nicht weniger als dreißig Hochhäuser gruppieren. Etwas weiter draußen wird es mit kleinen Privat-Inseln wirklich exklusiv.

Noch ist The Pearl großteils eine Baustelle, doch die Boutiquen und Restaurants werden die Zeit bis zur Fertigstellung schon durchtauchen. Man kann mit dem Taxi hinfahren, im Hafen spazieren gehen, viele Yachten und dreißig Hochhäuser sehen und wieder mit dem Taxi zurückfahren. Oder man nimmt den Hop-on-Hop-off-Bus, der die Corniche entlangfährt – dann nimmt man aber auch in Kauf, dass einem über die Ohrstöpsel ohne Unterlass von der Klugheit und vom Weitblick des Emirs erzählt wird.

Dieser Tage wurde eine Tiefgarage unter dem Souq Waqif eröffnet, dem nicht traditionellen, aber traditionell nachgebauten Souq im Zentrum von Doha. Einmal ums Eck stampfen sie einen ganzen neuen Wohnbezirk (Musheireb) aus dem Boden. Diese und andere Baustellen werden mit riesigen Scheinwerfern beleuchtet, dort arbeiten sie in Schichten beinah 24 Stunden durch.

Viele tote Arbeiter

Sie, das sind Gastarbeiter vor allem aus Indien, Nepal, Sri Lanka, Pakistan. Sie arbeiten und wohnen oft unter schlimmsten Bedingungen, verdienen mehr als in der Heimat, aber zum Leben kaum genug. Der internationale Gewerkschaftsbund (ITUC) schätzt, dass bis zum Jahr 2022 ungefähr 4000 der insgesamt 500.000 Arbeiter auf Baustellen der WM-Stadien und sonstiger WM-Infrastruktur ums Leben gekommen sein werden. Zwischen 2011 und 2014 sind 700 indische und 400 nepalesische Arbeiter in Katar tödlich verunglückt.

Viele geben der Fußball-WM und der Fifa eine Mitschuld an den Zuständen, andere halten die Fußball-WM für eine Chance, dass sich etwas zum Positiven verändert. "Put Katar on the map", lautet der Slogan. Den Sport hat der Emir dazu auserkoren, Katars Image draußen in der Welt zu polieren. Die Welt hält die Hand auf, spielt mit – und sieht auch darüber hinweg, dass von Meinungs- oder Pressefreiheit in Katar keine Rede ist oder dass Homosexualität als Verbrechen gilt.

Sorgen, irgendeine Sportanlage könnte nicht rechtzeitig fertig werden, muss sich die Fifa und müsste sich auch das IOC keine machen. In Katar wird alles rechtzeitig fertig. Garantiert auch die U-Bahn, die im Hinblick auf die Fußball-WM errichtet wird, wovon gigantische Baustellen in Doha zeugen. Die Errichtung einer der vier Linien wird von der österreichischen Porr AG verantwortet. In Doha sind 25 Österreicher für die Porr tätig, die 4500 Arbeiter für den U-Bahnbau beschäftigt.

Nie und nimmer würde Katar ohne öffentliches Verkehrsnetz mit den Menschenmassen einer Fußball-WM fertig. Doha stößt, was den Straßenverkehr angeht, schon jetzt an seine Grenzen, obwohl unzählige sechs- bis vierzehnspurige Straßen die Stadt durchlaufen. Es gibt mehrere Stoßzeiten, die zunehmend ineinander übergehen. Für eine Strecke von 20 Kilometern ist man mit Pech bis zu zwei Stunden lang unterwegs.

Auch deshalb sind die Expats froh, wenn sie wieder unter sich sind, in ihrer Oase, in den Al Jazi Gardens. Und wenn sie zum Hannes gehen können. Nur am Sonntagabend, als Österreichs Handballer ihr WM-Achtelfinale bestritten und just gegen Gastgeber Katar knapp verloren, war der Hannes nicht da. Da saß er in der Halle, mit rotweißrot bemaltem Gesicht, und schrie sich die Stimme heiser. Da gab es keine Schnitzel. (Fritz Neumann aus Doha, DER STANDARD, 26.1.2015)