Wie einen die Engel betten, so liegt man: Dörte Lyssewski und Fabian Krüger sondieren im finstersten erotischen Mittelalter das Terrain auf Patrick Bannwarts Burgtheater-Bühne.

Wien - Die Figuren in Heinrich von Kleists Käthchen von Heilbronn sind ihrer selbst nicht mächtig. Ein ehrbares 15-jähriges Mädchen fühlt sich aufgrund einer Traumerscheinung an den Ritter vom Strahl gekettet. Kein strenges Vaterwort bremst Käthchens Eifer (Sarah Viktoria Frick). Ihre Anhänglichkeit ist skandalös: Dieses feste, freundliche Kind mit den dünnen Zöpfen, den rutschenden Strümpfen ist, in den Worten des frühen 21. Jahrhunderts gesprochen, ein Fall für die Therapie.

Käthchen hat auch ihre Umgebung verfehlt. Rund um sie herrscht auf der Bühne des Wiener Burgtheaters finsterste Nacht. Die hohe Halle starrt vor Holz (Ausstattung: Patrick Bannwart). Gelegentlich schwingen Lamellen auf, Licht quillt durch die Ritzen. Licht verheißt nichts Gutes, man weiß: Ist es draußen hell, dann brennt es irgendwo. Der Kalender vermerkt: tiefstes Mittelalter; Rauchschwaden ziehen über die Halde. Schwaben-Land ist ein Kerker. In dieser Entwicklungszone spucken Ritter beherzt auf den Boden, wenn sie an Widersacher denken. Hier trinken Hexen adeligen Geblüts (Dörte Lyssewski) Verjüngungselixiere aus dem Shaker.

Klage

Käthchens Papa Theobald (Falk Rockstroh) verklagt den Ritter umständlich: Der muss das gute Kind behext haben! Friedrich Wetter (Fabian Krüger) kauert mit verbundenen Augen auf dem Delinquentensessel. Er wirft auf die Holzwand einen riesigen Schatten. David Bösch, der kindlich Unbekümmerte unter den begabten Regisseuren, zeigt die Wurzel allen Übels. Wir Menschen, die wir uns mit Händen greifen können, sind nichts als Erscheinungen. Zwischen der Wahrheit eines liebenden Mädchens und einer Gesellschaft aus Geharnischten gibt es keine Vermittlung.

In Kleists romantischem Ritterdrama hängen die Menschen am Gängelband des Himmels. Wetter vom Strahl und sein Käthchen träumten einst zur gleichen Zeit denselben unschuldigen Traum: Ein Engel führte die beiden einander zu. Leider blieb es den Liebenden verwehrt, ihre Identität zu lüften. Geflügelte Himmelsboten aber sind rar geworden.

Mit den Überresten der Fittiche stopft man jetzt Polster. Bösch lässt diese zahlreich aus dem Schnürboden herunterprasseln. Ein paar Daunen segeln ins Parkett. Brennt die Burg der Giftmischerin Kunigunde, regnet es Asche. Gottschalk (Hermann Scheidleder), Friedrichs Knecht, rückt den Brandherden mit dem Feuerlöscher zu Leibe. Er kommt, gemäß den Gesetzen der Komödie, natürlich immer zu spät.

Bösch ist wild entschlossen, Kleists Rätsel nicht zu ernst zu nehmen. Prompt setzt das Ensemble der dunklen Materie komische Glanzlichter auf. Man kann sich mit diesem Käthchen glänzend unterhalten. Wie ja auch das Genie Kleist, laut Überlieferung ein linkischer Stotterer, über seine eigenen Einfälle schallend lachen konnte.

Verworrene Gefühle

In das Staunen über die Vorsehung mengt sich das Grauen. Wetter vom Strahl kann sich von allen Vorwürfen freimachen. Seine verworrenen Gefühle - das Käthchen täte ihm recht gut gefallen - vermag er nicht für sich zu klären. Krüger gibt unter dünnen Strähnen einen erotischen Schmalhans, einen Phobiker, dem Kunigundes Reize schwer zusetzen.

Lyssewski legt diese folgerichtig als Salonschlange an. Das Licht der Bühne erblickt sie gefesselt in einer Schubkarre. Ihren erotischen Anwert verdankt sie intimen Kenntnissen der Kosmetik, deren Erzeugnisse sie mit hochprozentigem Alkohol streckt. Beinahe geht ihr und ihrer zauberhaften Domestikin (Frida-Lovisa Hamann) der Graf ins Netz. Lyssewski liefert die wunderbare Studie einer reptilischen Existenz, die Bösch durch Übertreibung von jedem Verdacht des Frauenhasses reinigt.

In Wahrheit gehört der wohlgelungene, freundlich akklamierte Abend jedoch einer Extremistin. Käthchen quert, von der Bibelausgabe in der Hand wie von einer Kraftquelle fortgezogen, die Bühne als Irrlicht. Der alte Kaiser (Martin Schwab) gesteht selbstgefällig, ihr biologischer Erzeuger zu sein. Die Liebenden könnten einander nunmehr beruhigt in die Arme schließen. Die Konfettikanonen knallen. Der Rest jedoch ist Dunkel und Verzweiflung. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 26.1.2015)