Muss seine wissenschaftlichen Methoden als Codeknacker auch gegen die eigenen Leute verteidigen: Benedict Cumberbatch als Alan Turing im Geschichtsdrama "The Imitation Game".

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Wien - Während des Zweiten Weltkriegs wurde in einer schlicht "Government Code and Cypher School" benannten Anlage im englischen Bletchley Park unter strengster Geheimhaltung jahrelang an der Entschlüsselung des deutschen Funkverkehrs gearbeitet. Diese am Ende erfolgreiche Operation, die den Zweiten Weltkrieg wohl um mindestens zwei Jahre verkürzte, wurde 1974 erstmals öffentlich gemacht. Da war eine dafür wesentliche Figur, der britische Mathematiker und Kryptoanalytiker Alan Turing, schon zwanzig Jahre tot: Er hatte sich 1954 vergiftet. Dass die Verurteilung des homosexuellen Turing wegen "grober Unzucht" und eine verordnete Hormonbehandlung dafür mitverantwortlich waren, wird angenommen.

Der Kinofilm The Imitation Game macht sich nun ein eigenes Bild von diesem lange Vergessenen - was nicht weiter schlimm wäre, wenn dieses Bild nicht so klischeehaft überzeichnet ausfiele: Das Mathegenie (Benedict Cumberbatch) wird als nicht gesellschaftsfähig erzählt, als "nutty professor" mit autistischen Zügen, der mit seinem Verhalten den Rest der Entschlüsselungsexperten konsequent vor den Kopf stößt - bis ihm eine hochbegabte Mathematikerin (Keira Knightley) allmählich ein paar Grundregeln des gedeihlichen Zusammenlebens und -arbeitens nahebringt.

Zum Ausgleich für die anstrengende Kopfarbeit wird der sehnige Denkerkörper einem Lauftraining unterzogen. Rückblenden enthüllen nach und nach noch eine einsame britische Knabeninternatskindheit mit Quälerei durch Mitschüler und ein scheues Coming-out, welches jedoch traumatisch unbeantwortet bleibt: Der Adressat von Alans schriftlicher Liebeserklärung stirbt an Tuberkulose, bevor ihn die Nachricht erreicht. Im Film wird daraufhin der Riesenrechner, den Turing konstruiert, nach dieser ersten Liebe "Christopher" heißen (tatsächlich hieß er "Bombe"). Dieses Detail zeigt, mit welcher sentimentalischen Tendenz hier vieles passend gemacht wird.

Der Brite Benedict Cumberbatch legt seine Performance entsprechend hochgespannt und exaltiert an: Turings verbale Konter sitzen - selbst wenn er eine schwerwiegende Gewissensfrage allein unter Berufung auf die Logik entscheidet. Seine Erregungszustände hingegen produzieren Schnappatmung, die Stimme kippt, egal, ob die Maschine abgestellt werden soll oder er einen Antrag macht.

Das erinnert an die Paraderolle des Schauspielers: Cumberbatch avancierte mit der BBC-Serie Sherlock zum Star - seit 2010 verleiht er dem Meisterdetektiv neue Abgründigkeit und einen Habitus fürs 21. Jahrhundert. Der Mime mit dem durchdringenden Blick wurde bald für Großproduktionen wie Steven Spielbergs War Horse oder Peter Jacksons Hobbit-Trilogie als Stimme engagiert. Er verkörperte auch Julian Assange im gefloppten Inside Wikileaks. The Imitation Game - Ein streng geheimes Leben hat ihm nun seine erste Oscar-Nominierung eingebracht.

Spiel mit Limitationen

Inszeniert hat den Film der Norweger Morten Tyldum, dem 2010 mit Headhunters die bis dato kommerziell erfolgreichste norwegische Produktion aller Zeiten glückte. The Imitation Game fokussiert auf die Ereignisse in Bletchley Park - von Turings Rekrutierung bis zum erlösenden Durchbruch. Die Erzählung springt aber auch zurück und nach vorne, zu den polizeilichen Ermittlungen gegen ihn in den 50er-Jahren (die hier mit einem Spionageverdacht verknüpft sind). Der Handlungsfaden wird dabei mitunter dünn. Im Zweifelsfall wird alles vom viel zu dominanten Musik-Uhrwerk von Alexandre Desplat zusammengehalten. Das Imitation Game zeugt letztlich auch von jenen Limitationen des Kreativen, die das Filmgeschäft hervorbringt. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 23.1.2015)