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Verinnerlichte in der Zusammen-arbeit mit dem freejazzigen Ornette Coleman dessen mysteriöses Harmolodics-System: Jazz- und Bluesgitarrist James Blood Ulmer.

Foto: Archiv, Reutes

Wien - Der Blues, das war die Musik des Teufels. Jedenfalls musste sie von der Kirche ferngehalten werden. "Du konntest nicht in ein Gotteshaus gehen und Sätze singen wie 'I will get me a pistol and shoot my wife dead'. Aber auch im Haus meines Vaters durfte man nur singen, wenn es mit Jesus zu tun hatte", so erinnert sich James Blood Ulmer an Jugendtage, in denen er früh in Sachen Gospel sozialisiert wurde, der Blues heimlich erforscht werden musste. Damals, in den 1940ern und 1950ern, in einem Kaff in South Carolina, in dem "du nur beten konntest, dass der Tag kommt, an dem du weggehen kannst".

Ein halbes Jahrhundert später benützte derselbe James Blood Ulmer den Blues, um den mächtigsten Politiker der Welt zum Teufel zu wünschen: President of Hell nannte er den in Cowboy-Country-Music-Manier daherreitenden Song auf der 2010 veröffentlichten CD Blues Odyssey. Damit keine Missverständnisse bezüglich des Widmungsträgers aufkommen, findet sich dort auch ein Stück namens Katrina, benannt nach dem Wirbelsturm, der New Orleans überschwemmte und die Bush-Administration überforderte.

"Ich betrachte mich selbst als politischen Bluesmann. Alle meine Lieder haben Bezug zu ihrer Entstehungszeit. Irgendwie ist es wie CNN. There's news in the blues, and if it ain't no news, it's no blues!", so Ulmer augenzwinkernd. Wobei der Blues, für den er steht, in der Regel nichts mit der konventionellen zwölftaktigen Form und den Harmoniestufen I-IV-V zu tun hat.

Er verband schließlich schon in den späten 1960er-Jahren den Sound des archaischen Country-Blues eines Skip James mit der rauen, geräuschhaften Energie des Free Jazz. Und fand so zu einer einflussreichen Stilsignatur zwischen Tradition und Avantgarde, die Griffbrettkollegen wie Vernon Reid und Marc Ribot inspirierte.

Ein wichtiger Katalysator für die Entwicklung des verzerrten, dabei stets plastischen Gitarrensounds Ulmers, der in den 1960ern lange Zeit seinem erklärte Vorbild Wes Montgomery nacheiferte und 1971 nach New York übersiedelte, lässt sich konkret benennen: "Eines Tages kam Schlagzeuger Billy Higgins in mein Studio in Brooklyn. Er sagte, er spiele mit Ornette Coleman, von dem ich bis dahin noch nie gehört hatte. Higgins stellte mich ihm vor, wir spielten zu dritt, und Coleman sagte, ich sei ein 'natürlicher harmolodischer Spieler'. So begann ich, mit Ornette zu arbeiten."

Da ist es, das ominöse Wörtchen, mit dem Free-Jazz-Pionier Coleman in den frühen 1970ern begann, seine Musik zu beschreiben und über das seither Fans und Wissenschafter rätseln. Das angekündigte Buch über die harmolodische Musik ist nie erschienen, die Kommentare von Coleman selbst blieben kryptisch.

Ulmer tut es ihm gleich: "Es ist nicht möglich, Harmolodics in drei Minuten zu erklären. Ich sage nur so viel: Es ist keine Theorie, es ist ein Gesetz", sagt er und meint damit wohl ein Regelwerk, das sich vor allem in der Praxis, beim Spielen selbst vermittelt. "Du folgst keinen bestimmten Akkorden, Skalen oder Tonarten."

Post-Free-Jazz-Meilenstein

Lassen wir also die Musik sprechen, obwohl das so einfach nicht ist: Denn Ulmers Arbeit in Colemans erster "Prime Time"-Band, in der sich der Saxofonist als tanzbarer Free Funker neu erfand, ist nicht auf Veröffentlichungen dokumentiert. Allerdings ist Coleman auf Ulmers Debüt als Sideman zu vernehmen: Die berühmte LP Tales of Captain Black (1978), gilt dank elektrisierender rhythmisch-melodischer Dichte als Meilenstein des Post-Free-Jazz. "Ich denke, der Titel geht auf Coleman zurück. Es war überhaupt seine Session, das Quartett mit E-Bassist Jamaaladeen Tacuma und Schlagzeuger Denardo Coleman war seine Band. Er war der Regisseur, ich der Schauspieler", gibt sich Ulmer bescheiden.

Wie auch immer: Tales of Captain Black war der Startschuss zur Solokarriere des Gitarristen, die sich bald in legendären Formationen wie dem Music Revelation Ensemble und dem Quartett Phalanx materialisierte, in denen Blues, Funk und Free Jazz wechselnde, immer aber kraftvolle Koalitionen eingingen.

Das am Freitag, wenige Tage vor Ulmers 75. Geburtstag startende Porgy & Bess-Porträt eröffnet er solo. Samstags gastiert er mit dem Projekt Harmolodic Guitar With Strings, sonntags im Music Revelation Ensemble (Gast Wolfgang Puschnig). Ulmer: "Ich hatte noch nie die Möglichkeit, mit drei verschiedenen Bands in Folge auf einer Bühne zu spielen. That's a big job to do!" (Andreas Felber, DER STANDARD, 23.1.2015)