Albrecht Altdorfers "Sarmingstein an der Donau" aus dem Jahr 1511: In der Renaissance kamen Abbildungen von Landschaften in Mode. Sie fanden eine Entsprechung in geografischen Beschreibungen in neulateinischen Briefen, Gedichten und Traktaten.

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Innsbruck - Der Blick vom Gipfel hinab auf die darunterliegende Wolkendecke, die letzten Sonnenstrahlen, die die Felswände in rotes Licht tauchen, oder die bizarren Schneeskulpturen, die der Wind über der Baumgrenze formt - was Wanderer, Skitourengeher oder Liftfahrer auf Berge lockt, ist oft schlicht und einfach Schönheit. Die Wahrnehmung der Natur empfinden viele als persönliche Bereicherung. Die Panoramen werden auf Fotos gebannt und auf Facebook geladen. Die Berge lassen die Besucher gleichzeitig Freiheit verspüren und die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit testen.

Die Gebirgslandschaften waren in den Augen der Menschen aber nicht immer schön. Die ästhetischen Urteile über die Besonderheiten der Natur sind stetigen Veränderungen unterworfen. Die positive, romantische Sicht von heute hat sich über viele Jahrhunderte geformt. Diese Entwicklung hat William Barton, Junior Researcher am Ludwig-Boltzmann-Institut für Neulateinische Studien in Innsbruck anhand einer Vielzahl historischer Quellen untersucht. Der Philologe hat lateinische Texte durchforstet, die ab dem 14. Jahrhundert, als sich die Ideen der Renaissance durchzusetzen begannen, verfasst wurden.

Bartons Arbeit ist Teil der Forschungsschiene "Neulatein und Mentalitätsgeschichte" des Instituts, das vom Klassischen Philologen Florian Schaffenrath geleitet wird. "Es mag nach einer eigenartigen Entscheidung klingen, die Ästhetik der Berge studieren zu wollen", sagt Barton. "Wenn heute vor dem Klimawandel gewarnt wird, bekommt man aber oft Bilder schöner Landschaften zu sehen. Diese ästhetischen Argumente basieren auf Mentalitäten, die über lange Zeit gewachsen sind", beschreibt er die aktuelle Relevanz. Vor seiner Zeit in Innsbruck hat der Brite bereits Beschreibungen der kanadischen Natur untersucht, die einst Missionare niederschrieben.

Berge waren in der Antike ein Ort der Götter und der Schäfer. Die Römer verbanden sonst eher negative Gefühle mit ihnen, sagt Barton. "Sie wurden als Ort der Kälte und der Angst wahrgenommen, und als Barriere für die Armee." Auch das Christentum sah die Berge nicht in positivem Licht. Sie waren Orte, an denen Gott seine Gewalt zeigt oder falsche Götter angebetet wurden. In den Mythen des Mittelalters waren die Berge bestenfalls geheimnisvolle, aber selten angenehme Orte.

Erst bei Francesco Petrarca, der in einem Brief aus dem Jahr 1336 seine Besteigung des Mont Ventoux in Frankreich beschreibt, findet sich ein erster Beleg für eine neue Sicht auf die Berge. Sein Ausflug war "einzig von der Begierde getrieben, diese ungewöhnliche Höhenregion mit eigenen Augen zu sehen", schreibt der Dichter und Humanist darin. "Auf einen Berg zu gehen, um die Aussicht zu genießen, war damals ein recht neuer Gedanke", so Barton.

"Größte Vergnügungen"

Die folgenden Jahrhunderte brachten eine Vielzahl lateinischer Texte, in denen ein persönlicher Genuss im Zusammenhang mit Bergerlebnissen beschrieben wird. Der Schweizer Naturforscher Conrad Gesner resümiert etwa in der Beschreibung des Berges Pilatus (1555): "Aus den Wanderungen durch die Berge, die mit Freunden unternommen werden, können größte Vergnügungen und angenehmste Freuden für alle Sinne gewonnen werden." Noch deutlicher wird der Schweizer Benedikt Marti (1561): "Ich fühle mich durch eine Art natürliche Liebe zu den Bergen hingezogen, sodass ich mich nirgendwo lieber aufhalte als im Gebirge!"

Barton hat an die 100 zuvor noch nicht untersuchte neulateinische Texte analysiert. Dass die Ästhetik dieses Naturraums mit dem Bruch zur Neuzeit in hohem Maß an Bedeutung gewann, führt der Philologe auf zwei Ursachenkomplexe zurück. Zum einen änderte sich in jener Zeit das Verständnis von Geografie und Malerei. In den deutschsprachigen Gebieten erwachte das Interesse, das eigene Land zu beschreiben. Die Mode, Landschaften in Skizzen und Malereien abzubilden, schwappte von Italien über die Alpen und prägte die Künstler der Donauschule. "Keine Christusdarstellung, kein Heiliger, keine menschliche Handlung war auf den Zeichnungen und Malereien zu sehen. Das war neu", sagt Barton. Akribische Landschaftsbeschreibungen wie bei Gesner spiegeln diese Entwicklung wider.

Die Berge in der Bibel

Zum anderen beginnt auch das naturwissenschaftliche Interesse an den Bergen zu reifen. Warum existieren sie? Wie sind sie entstanden? Die Überlegungen waren zuerst noch theologisch geprägt. In der biblischen Schöpfungsgeschichte kamen keine Berge vor. Noah strandete dagegen am Berg Ararat. Entstanden die Berge also als Teil der Schöpfung oder als Teil göttlicher Strafe? Die Frage hatte auch Konsequenzen für die Ästhetik, sagt Barton: Wenn sie Teil der Schöpfung sind, wären sie perfekt. Wenn sie etwa mit der Flut entstanden, stünden sie für menschliche Sünde und können also nicht als schön gelten.

In vielen Gedichten, Traktaten und Briefen vertreten die Autoren aber Vorstellungen, die modernen Sichtweisen sehr nahekommen, sagt Barton. Dass diese Art der Wahrnehmung bereits so früh verbreitet war, sei durchaus überraschend. Bisher verortete man die Ursprünge eher im 18. Jahrhundert, als erste nichtlateinische Belege auftauchen. Berühmt ist Albrecht von Hallers deutsches Gedicht Die Alpen aus dem Jahr 1729.

Institutsleiter Schaffenrath bedauert angesichts solcher Entdeckungen eine Vernachlässigung in der Aufarbeitung der neulateinischen Schriften. Bis ins 18. Jahrhundert war Latein die Wissenschaftssprache, 95 Prozent der überlieferten lateinischen Texte stammen aus der Neuzeit. Viele davon harren noch der Wiederentdeckung durch Forscher, die mehr über die Menschen der frühen Neuzeit herausfinden wollen. (Alois Pumhösel, DER STANDARD, 21.1.2015)