Das Active Energy Building in Vaduz soll wegen seiner innovativen Technologie künftig in die Bauforschung einfließen. Die Fertigstellung des Baus ist für Herbst 2015 geplant.

Foto: Falkeis

Vaduz, die Hauptstadt Liechtensteins, ist nicht gerade für ihre pulsierende Architekturszene bekannt. Die Gebäude, die in den letzten Jahren entstanden sind, zeichnen sich durch Schickes und Kostspieliges aus. Innovatives sucht man vergeblich - mit wenigen Ausnahmen. Der Bankier Peter Marxer, der mit Hans Hollein 2002 bereits die vielfach ausgezeichnete Centrum Bank errichtete, holt mit seinen 81 Jahren und ungebrochenen Zukunftsvisionen aus und positioniert sich als Bauherr für ein Wohnhaus, von dem man schon jetzt sicher sein kann, dass es Aufsehen in der internationalen Forschungs- und Technologielandschaft erregen wird.

Das Active Energy Building, Siegerprojekt eines europaweiten Architekturwettbewerbs, ist nicht nur ein ausgetüfteltes und konstruktiv gewagtes Plusenergiehaus, das in der Lage sein wird, seine überschüssige Energie ins Netz zu speisen, sondern auch das in diesen Dimensionen weltweit erste Architekturexempel für den Einsatz von PCMs, den sogenannten Phase-Change Materials. Auf diese Weise soll der Wirkungsgrad von Heizung und Kühlung um 15 bis 20 Prozent verbessert werden.

Fünffache Speicherfähigkeit

Möchte man in einem Gebäude Energie speichern, so arbeitet man üblicherweise mit Wasser oder Salzlösungen, da diese Energie besser speichern können als jedes andere Medium, das in der Baubranche verwendet wird. Phase-Change Materials können beim Übergang von einem in einen anderen Aggregatzustand Wärme aufnehmen oder abgeben. Sie weisen eine fünfmal höhere Speicherfähigkeit als Wasser auf und können Energie auf diese Weise effizienter speichern und auch wieder freigeben. Bislang kommen PCMs vor allem in der Medizin und Technologie zur Anwendung. "Wir haben einen innovativen Bauherrn, der sich bereiterklärt hat, sich auf ein Experiment einzulassen und etwas Neues, noch nie Dagewesenes auszuprobieren", sagt Architekt Anton Falkeis, der neben seinem Brotberuf an der Universität für angewandte Kunst in Wien unterrichtet.

"Daher haben wir uns entschieden, bei diesem Haus mit PCMs zu arbeiten. Nach vielen, vielen Berechnungen und Laborversuchen sind wir schließlich bei einem speziellen, für unseren Bedarf bestens geeigneten Paraffin gelandet." Der Phase-Change-Punkt, an dem das Paraffin gefriert und sich wieder verflüssigt, liegt bei 21 für die Kühlelemente und 32 Grad Celsius für die Heizelemente.

Neuland der Bauforschung

Von den acht Kubikmetern beziehungsweise sieben Tonnen wachsähnlicher Masse, die im Active Energy Building stecken, wird man am Ende kaum etwas mitbekommen. Verborgen werden all die Mühen und technischen Errungenschaften sein, mit denen man die Energiekosten des Hauses gegen null senken wird. Bloß die mobilen Heiz- und Kühlflügel, die sich je nach Heiz- und Kühlbedarf aufklappen und der Sonne oder dem nächtlichen Sternenhimmel entgegenrecken werden, könnten nach Fertigstellung im kommenden Herbst einen Hinweis auf die inneren Werte dieses Hightech-Wohnhauses geben.

"Die Heiz- und Kühlflügel sind als Unterstützung und Optimierung zu verstehen", sagt Falkeis, der das Haus selbst als "absolutes Neuland für uns" bezeichnet. "Darüber hinaus gibt es noch einige andere Quellen, aus denen wir die Energie für dieses Haus speisen werden." Neben den beweglichen Paraffinspeichern an der Fassade gibt es Geothermie, Grundwassernutzung sowie aktive und passive solare Nutzung.

Bewegliche Solarpaneele

Die gesamte Südseite sowie ein Großteil der Dachfläche sind mit Photovoltaik-Paneelen verkleidet. Um die Stromgewinnung zu erhöhen, sind sie an einen integrierten Solartracker angeschlossen. Dieser hat die exakt errechneten Sonnenstandskoordinaten der nächsten Jahrhunderte eingespeichert und gibt die Daten an einen Motor weiter, der die Paneele in den jeweils optimalen Winkel hochklappt und im Fünf-Minuten-Takt hydraulisch nachjustiert. Außerdem ist die software- und sensorgesteuerte Anlage mit der meteorologischen Station verbunden. Ist die Strahlungsdichte zu gering oder drohen hohe Windgeschwindigkeiten, kehrt das expressive Schuppenvieh in seinen Schlafmodus zurück.

"Irgendwann einmal werden wir nicht mehr auf fossile Rohstoffe zurückgreifen können, dann müssen wir uns ausschließlich mit regenerativen Systemen und Ressourcen behelfen", sagt Ludger Josef Fischer, PCM-Spezialist und Leiter des Departments Mechanical Engineering an der Hochschule Luzern, die in das Projekt eingebunden wurde. "Daher ist es gut und wichtig, sich schon jetzt ein bisschen aus dem Fenster zu lehnen und sich mit neuen Energiesystemen auseinanderzusetzen." Die Baubehörde habe man entsprechend mit allen Berechnungen und Simulationen versorgt.

Zwölf Wohnungen mit jeweils zwei bis sechs Zimmern und einer Gesamtnutzfläche von knapp 2000 Quadratmetern - das sind die Eckdaten dieses nicht ganz alltäglichen Mietobjekts. Glaubt man dem Bauherrn, so werden sich die Mietpreise im für Vaduz handelsüblichen Bereich von 20 bis 25 Schweizer Franken pro Quadratmeter bewegen. Bloß: Warum tut man sich so etwas an?

Beitrag für nächsten Generationen

"Es hat sich so ergeben", sagt Auftraggeber Marxer. "Wir wollten einfach etwas Schönes und Wegweisendes machen. Ich bin jetzt 81, und mein Wunsch war es, bei meinem Abschlussprojekt einen Beitrag für die nächsten Generationen zu leisten." Der Beitrag ist kein billiger. Die genauen Baukosten möchte Marxer für sich behalten, spricht jedoch von einem Mehrfachen des Normalen. "Ein konventioneller Bau hätte sicher maximal die Hälfte dieses Wohnhauses gekostet." Das ist der Preis der Pionierarbeit.

Nach Fertigstellung im Herbst 2015 soll das Wohnhaus zwei Jahre lang beobachtet und evaluiert werden. Die Vorzüge des mal dahinschmelzenden, mal gefrierenden Paraffins in den Fassadenflügeln sollen dann in die Bauforschung einfließen. Die Vision des lockenköpfigen Architekten: "Eines Tages wird das Active Energy Building Teil eines großen Smart Grids sein", sagt Falkeis, "und dabei wird es nicht das einzige seiner Art sein." (Wojciech Czaja, DER STANDARD, 21.1.2015)