Für alle, die auch im Ausland gern nach Österreich-Bezügen suchen: Von hier aus ist "unser" Stratosphärenspringer Felix Baumgartner im Jahr 2007 in die Tiefe gehüpft. Mit einem Fallschirm, den eine Bekannte am Vortag am Wachpersonal vorbei hereingeschmuggelt hatte, vom 91. Stock aus, was natürlich erstens illegal ist und zweitens nichts für Leute, denen leicht schwindlig wird.

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Experimentierstätte für eine chinesische Moderne: die nächtliche Skyline von Taipeh mit dem 101-Tower am linken Bildrand.

"Hier": Das ist der 101-Tower im Finanzzentrum der taiwanesischen Hauptstadt Taipeh, 508 Meter und einhundertein Stockwerke hoch, eines jener megalomanen Bauprojekte, wie sie die Menschheitsgeschichte seit dem Turmbau zu Babel immer wieder säumen. Ehe ihn das Burdsch Chalifa in Dubai (und ein paar andere neue aufstrebende Baumonster) auf die Plätze verwiesen haben, war der Taipeh 101 lange der höchste Wolkenkratzer der Welt. Aber egal, ob er nun den ersten Platz auf der globalen Höchstenliste einnimmt oder nicht: Imposant ist das jadegrüne, einen Bambus imitierende Gebäude allemal. Von der vollverglasten Aussichtsplattform im 89. Stock, die man mit einem Aufzug in Sekundenschnelle erreicht, kann man sich nach jeder Himmelrichtung hin ein aufregendes Bild der Zweieinhalb-Millionen-Metropole Taipeh machen.

Experimentierstätte chinesischer Moderne

Eine "Stadt am Rande der westlichen Welt" hat sie der dort lehrende Philosophieprofessor Kai Marchal vor kurzem in der Zeitschrift "Merkur" genannt, und eine "Experimentierstätte einer spezifischen chinesischen Moderne", von der die brummende Geschäftigkeit in den Straßen Taipehs beredtes Zeugnis ablegt. Und nicht nur der Wirtschaft geht's gut: Auf der "Where to Be Born"-Liste, mit der der britische "Economist" die Lebensqualität in 80 Ländern verglichen hat, firmierte Taiwan 2013 auf dem 14. Rang, gleich hinter Österreich. Nach den Ecken, wo sich ein geruhsames, traditionelles China zeigt, muss man in Taipeh suchen: am Abend etwa im stimmungsvollen Tempel Mengjia Longshan, wo die Gläubigen in dämmriger Kerzenlicht- und Räucheratmosphäre ihren buddhistischen oder taoistischen Gebeten nachgehen.

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In Taipeh erinnert die bombastische Chiang-Kai-shek-Gedenkstätte an die ehemalige Führerfigur der Kuomintang-Partei.

Die Beziehungen der 1912 nach dem Sturz der Qing-Dynastie gegründeten "Republik China auf Taiwan" zu Peking sind, trotz eines regen wirtschaftlichen und touristischen Austauschs, schwierig. In Taipeh erinnert eine bombastische Chiang-Kai-shek-Gedenkstätte an die ehemalige Führerfigur der Kuomintang-Partei, die sich 1949 nach dem Ende des Chinesischen Bürgerkriegs nach Taiwan zurückzog. Zu jeder vollen Stunde lassen Soldaten in einer dramatisch choreografierten Wachablöse ihre schweren Kampfstiefel auf den Boden knallen (in dieser hallenden Umgebung besonders effektiv), und bei den Memorabilien des Chiang Kai-shek gibt es neben massenhaft historischen Objekten und Fotografien selbst eine naturnahe Nachbildung von dessen Lieblingsspeisen in einer Vitrine zu sehen.

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Im Nationalen Palastmuseum sind die schönsten Exponate aus der weltweit größten Sammlung chinesischer Kunst ausgestellt.

Weniger martialisch geht es im sensationellen Nationalen Palastmuseum, einer der Hauptattraktionen Taiwans, zu. Auf drei riesigen Stockwerken sind hier die schönsten Exponate aus der weltweit größten Sammlung chinesischer Kunst ausgestellt: Gemälde, Bronzen, Kalligrafien, Porzellan und so fort. Quasi das Maskottchen des Museums und unangefochtener Liebling der jährlich mehr als vier Millionen Besucher ist der Jadekohl, ein handgroßes, aus dem Mineral gefertigtes Gemüse-Imitat, das zum Hineinbeißen echt aussieht. Eine andere, eher dubiose Sehenswürdigkeit Taipehs, bei der das Hineinbeißen ebenfalls eine Rolle spielt, die "Snake Alley" im Wanhua-Nachtmarkt, hat viel von ihrem Gruselfaktor verloren, seit die Behörden im Gefolge der SARS-Pandemie 2002/2003 dem Schlangenschlachten und Schlangenverzehren einen Riegel vorgeschoben haben.

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Die "Snake Alley" im Wanhua-Nachtmarkt hat viel von ihrem Gruselfaktor verloren seit dem Schlangenschlachten und Schlangenverzehren ein Riegel vorgeschoben wurde.

Weniger herumgesprochen hat sich, dass Taiwan abseits seiner Ballungszentren ein Hochgebirgsland mit exquisiten Naturschönheiten und dutzenden Dreitausendern ist. Ein halbstündiger Flug bringt den Reisenden von Taipeh in den Ort Hualien an der Nordostküste: Von hier aus kann die Taroko-Schlucht erkundet werden, mit ihrem Nebeneinander von weiß schimmernden Marmorfelsen, Wasserfällen, kühn auf Felsspitzen gebauten Pagoden und über herabschießende Flüsse gezogenen Hängebrücken.

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Die Taroko-Schlucht ist ein Nebeneinander von weiß schimmernden Marmorfelsen, Wasserfällen und kühn auf Felsspitzen gebauten Pagoden.

Nicht minder spektakulär, wenn auch eine echte Herausforderung für Autofahrer, ist die sich scheinbar endlos durch eine Schluchtenlandschaft emporwindende, höchst kurvenreiche Tour über den Central Cross-Island Highway, bei der es Felix Baumgartner an Gelegenheiten zum Hinunterhüpfen nicht mangeln würde. Ehe es dann auf einer weniger extravaganten Bergstraße zur Westküste hinuntergeht, ist in 3000 Metern Höhe eine quasialpine Szenerie zu durchqueren, die nicht nur mit würziger Höhenluft aufwartet, sondern auch mit einer Ansammlung chinesisch beschrifteter Almhütten und Gipfelrestaurants: Europäischen Augen beschert das nette Verfremdungseffekte. (Christoph Winder, Rondo, DER STANDARD, 23.01.2015)