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Die Klagsmöglichkeit für Konzerne vor Schiedsgerichten ist eines der Hauptmotive für den breiten Widerstand gegen TTIP. Ein Verzicht darauf würde allerdings mittelständische Unternehmen treffen.

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Wien – Kennen Sie Wuxi, nahe Schanghai? Wenn es nach dem Willen medienpräsenter Organisationen geht, könnten sich dort schon bald österreichische KMUs mit Investitionen, die in China enteignet wurden, vor den lokalen Gerichten finden. Denn sollten sich EU und US Investitionsstreitigkeiten auf staatliche Gerichte im jeweils anderen Gastland einigen müssen, warum würden China und Russland in zukünftigen Investitionsverträgen mit der EU nicht auch auf Gerichte in ihren jeweiligen Ländern für solche Streitsachen bestehen?

Dennoch scheiden sich hier die Geister über Sinn und Ausgestaltung des Investorenschutzes im Freihandelsabkommen mit den USA (Transatlantic Trade and Investment Partnership, kurz TTIP). Dieses Thema scheint in Österreich geradezu zu bewegen. In der von der EU durchgeführten Onlinebefragung lag Österreich mit 22,6 Prozent der abgegebenen Stimmen hinter Großbritannien und noch vor Deutschland auf Platz zwei. Für ein Land mit starker KMU-Struktur ist das ein erstaunliches Phänomen, das nur mit der beeindruckenden Medienpräsenz ideologisch positionierter Organisationen erklärbar ist. Auch SPÖ und ÖVP haben einen "kleinen Unterschied", wie Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) unlängst meinte. Der Widerstand gegen den Investorenschutz ist mit Blick auf schützenswerte Interessen österreichischer Unternehmen nicht nachvollziehbar.

Schutz für heimische Firmen

Der Investorenschutz ermöglicht es österreichischen Unternehmen, welche im Ausland investieren, sich vor Diskriminierung und Enteignung im Gastland zu schützen. Um ein Minimum an Rechtssicherheit zu gewährleisten, sehen zahlreiche Investitionsschutzabkommen – darunter auch das vor kurzem von der EU mit Kanada zu Ende verhandelte Freihandelsabkommen Ceta – vor, dass Streitigkeiten zwischen einem Investor und dem Gaststaat, in welchem der Ausländer investiert hat, vor einem internationalen Schiedsgericht ausgetragen werden. In einem Schiedsverfahren entscheiden eben gerade nicht die staatlichen Richter des Gaststaates über das Schicksal einer Investition, sondern ein unter Einbeziehung der Parteien konstituiertes Schiedsgericht, welches das Verfahren nach einer in Absprache mit den Parteien entwickelten Verfahrensordnung führt. Dies erspart dem Investor den Gang vor die Gerichte genau desjenigen Staates, von dem er sich aufgrund der Enteignung entrechtet sieht.

In einem solchen Schiedsverfahren haben kürzlich die enteigneten Yukos-Eigentümer gegen Russland gesiegt. Das Schiedsgericht hat Russland zu einer Zahlung von 50 Milliarden Dollar verurteilt. Grund dafür war die unrechtmäßige Zerschlagung des Yukos-Konzerns durch Russland. Kann angenommen werden, dass russische staatliche Gerichte zu einem anderen Ergebnis gekommen wären, wenn sich die bei Yukos enteigneten Anteilseigner überhaupt dazu hätten durchringen können, vor russischen Gerichten zu klagen?

Aber auch bei europäischen Investitionen in den USA darf nicht unterschätzt werden, was es für ein europäisches Unternehmen bedeutet, vor amerikanischen Gerichten ein Verfahren gegen den amerikanischen Staat anzustrengen. In einem solchen Fall kommt der Investitionsschutz nicht, wie von den Kritikern gern behauptet, den multinationalen Großkonzernen zugute. Diese sind weltweit so gut vernetzt, dass sie problemlos in den USA Anwälte instruieren können. Mittelständische Unternehmen können es sich hingegen oft gar nicht leisten, in den USA überhaupt zu prozessieren. Verfahren vor US-Gerichten sehen eine umfangreiche "pre-trial discovery" vor. Dies bedeutet, dass die Parteien sowohl von der Gegenpartei als auch von Dritten umfassende Informationen verlangen können und selbst eine Reihe von Anwälten anstellen müssen, um das erhaltene Material zu sichten. Im Gegensatz dazu kann ein österreichisches Unternehmen ein Schiedsverfahren mit seinem österreichischen Anwalt führen, und eine Herausgabepflicht für Dokumente besteht, wenn überhaupt, nur in einem beschränkten Ausmaß. Ein Freihandelsabkommen ohne Investitionsschutz würde von multinationalen Großkonzernen gelassen gesehen, aber unsere mittelständischen Unternehmen mit Auslandsinvestitionen existenziell betreffen.

Dass der Investitionsschutz auch zu missbräuchlichen Klagen führen kann, mag sein. Unbegründete und abwegige Klagen vor Gerichten hat es schon immer gegeben, und es wird sie auch weiterhin geben. Was aber "missbräuchlich" ist, bleibt häufig der subjektiven Wertung überlassen. "Missbräuchliche" Klagen sind nicht die Folge des Investitionsschutzes und der damit verbundenen Möglichkeit, ein Verfahren vor einem Schiedsgericht auszutragen. Vielmehr werden auch staatliche Gerichte regelmäßig mit Fällen befasst, die an Missbrauch grenzen. In Deutschland sind derzeit Schiedsgerichte und staatliche Gerichte mit Schadenersatzklagen aus dem beschleunigten Atomausstieg befasst.

Internationale Best Practice

Aus Sicht europäischer – auch österreichischer – Unternehmen mit Investitionschancen in den USA wäre es höchst nachteilig, wenn der Investitionsschutz aus dem TTIP gekippt würde. Ihnen würde die Möglichkeit genommen, ihre Rechtsstreitigkeiten in einem Verfahren auszutragen, welches nach internationaler Best Practice geführt wird und auf welches ihre Gegenseite, also der amerikanische Staat, keinen größeren Einfluss ausübt als sie selbst. Das sollte auch die Politik bedenken, wenn sie einem Ruf interessierter Gruppen populistisch folgt.

Und um schließlich auch mit dem polemischen Schlagwort "Geheimgerichtsbarkeit" aufzuräumen: Die absolute Transparenz von Investitionsschiedsverfahren, im Übrigen maßgeblich basierend auf einer von der in Wien ansässigen UNO-Organisation für internationalen Handel (UNCITRAL) ausgearbeiteten Transparenzrichtlinien, garantiert ein faires und ausgewogenes Verfahren. Eine solche Transparenz gibt es in staatlichen Verfahren nicht. (Günther Horvath, Eliane Fischer, DER STANDARD, 19.1.2015)