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Staatsanwalt Alberto Nisman starb unter ungeklärten Umständen.

Foto: REUTERS/Marcos Brindicci

Puebla – Natalio Alberto Nisman war für die einen Hoffnungsträger, für die anderen ein unbequemer Querulant. Die jüdische Gemeinde Argentiniens versprach sich von seinen Ermittlungen endlich Fortschritte bei der Ahndung des Bombenanschlags auf das Jüdische Gemeindezentrum (Amia) vor 20 Jahren, bei dem 85 Menschen starben.

Die Opposition hoffte, damit in diesem wichtigen Wahljahr der peronistischen Regierungspartei das politische Grab zu schaufeln. Denn der Staatsanwalt hatte in den Medien schwere Anschuldigungen erhoben, gegen den Iran und gegen die Regierung. Es gebe Abhörprotokolle, wonach Präsidentin Cristina Kirchner und ihr Außenminister Hector Timerman mit Teheran Straffreiheit im Gegenzug für wirtschaftliche Vorteile paktiert hätten. Die Regierung bezeichnete die Vorwürfe als "lächerlich".

Öl gegen Weizen

Kernstück war ein umstrittenes und zunächst geheimes Memorandum aus dem Jahr 2013, in dem beide Regierungen den Tausch von iranischem Erdöl gegen argentinischen Weizen sowie eine gemeinsame Kommission zur Aufklärung des Attentats vereinbarten. Damit wurde der Bock zum Gärtner, denn alle Spuren des Attentats führten nach Teheran. Die Namen der Verdächtigen, die den Ermittlungen zufolge Komplizen in der argentinischen Polizei und dem Geheimdienst hatten, waren bekannt, doch der Iran schützte sie. Die einflussreiche jüdische Gemeinde Argentiniens, die größte in Lateinamerika, war empört.

Am Montag wollte der Staatsanwalt vor dem Kongress seine Ermittlungen erläutern und Beweise vorlegen. Dazu kam der 51-Jährige nicht mehr. Im Morgengrauen fuhr vor seinem Domizil, einem Luxusappartement im zentralen Stadtteil Puerto Madero, der Leichenwagen vor. Seine Mutter hatte ihn im Bad der Wohnung im 13. Stock aufgefunden – mit einem Kopfschuss aus seinem eigenen Revolver. Mord? Selbstmord? Wer steckt dahinter? Wo sind die belastenden Dokumente, angeblich 300 CDs?

Kein Hinweis auf Einbruch

Fragen, auf die die mit dem Fall betraute Staatsanwältin Viviana Fein nun Antworten sucht. Einige Details waren rasch klar: Der Schuss hatte die Schläfe durchbohrt, es gab keine Anzeichen für einen Einbruch oder für Gewaltanwendung durch Dritte, Nisman starb offenbar noch vor dem Abendessen. Beim ersten Lokalaugenschein wollte Fein vor den Medien jedoch keine weiteren Hypothesen erstellen. Sicherheitsminister Sergio Berni erklärte, es handle sich allem Anschein nach um Selbstmord.

Keine Schmauchspuren

Am Dienstag geb die Gerichtsmedizin bekannt, an Nismans Händen seinen keinerlei Schmauchspuren gefunden worden. Allerdings seien die entnommenen Proben sehr klein gewesen. Das negative Resultat schließe nicht aus, dass Nisman selbst geschossen habe.

In der Presse wurde spekuliert, Nisman sei möglicherweise dazu gezwungen worden. Ihm erscheine die Selbstmordhypothese suspekt, erklärte der argentinische Journalist Andrés Oppenheimer. Er habe wenige Tage zuvor ausführlich mit Nisman telefoniert und ein Interview für Dienstag verabredet. Das mache kein Selbstmordkandidat. Außerdem sei kein Abschiedsbrief gefunden worden.

Der Präsident der Jüdischen Vereinigungen Argentiniens, Julio Schlosser, bezeichnete den Tod Nismans als Katastrophe. "Die Bombe ist erneut explodiert", sagte er im Rundfunk. Nisman, zweifacher, getrennt lebender Familienvater, hatte jüdische Wurzeln. Im Jahr 2005 unter Kirchners verstorbenem Mann, dem damaligen Präsidenten Nestor Kirchner, wurde er mit den Ermittlungen im Fall Amia beauftragt und machte sich mit Enthusiasmus an die Sache.

Prozess annulliert

Doch es war ein komplizierter Fall, in den nicht nur die Politik hineinspielte, sondern auch mafiöse Netzwerke innerhalb der Geheimdienste und antisemitische Strukturen der Polizei. Unter Expräsident Carlos Menem, Nachfahre syrischer Einwanderer, und Richter Juan José Galeano gab es wenig Fortschritte; der Prozess wurde schließlich wegen Zeugenbestechung und zahlreicher Unregelmäßigkeiten annulliert.

Nisman recherchierte in enger Zusammenarbeit mit Washington – wie durch Wikileaks bekannt wurde - die Namen von fünf iranischen Funktionären, darunter Ex-Verteidigungsminister Ahmad Vahidi und der ehemalige Kulturattaché an der iranischen Botschaft in Buenos Aires. Argentinien beantragte 2007 einen internationalen Haftbefehl und ihre Auslieferung, doch der Iran hielt seine schützende Hand über die Verdächtigen.

2008 verlangte Nisman die Verhaftung Menems und Galeanos, denen er ebenfalls Vertuschung vorwarf. Die US-Botschaft sah Wikileaks zufolge darin einen politischen Schachzug, mit dem sich Nisman bei den Kirchners einschmeicheln wollte, um seine Karriere zu fördern. Menem war der Lieblingsfeind der Kirchners. Doch zuletzt war Nisman zunehmend frustriert angesichts der immer distanzierteren Regierung, in der Israel-kritische Funktionäre die Oberhand bekamen, und vor kurzem hatte er nach einem internen Machtkampf auch noch seinen Vertrauensmann im Geheimdienst verloren.

Wahl im Oktober

Kommentator Carlos Pagni vermutet, dass Nisman Opfer politisch motivierter Abrechnungen innerhalb der Geheimdienste im Vorfeld des Wahlkampfs wurde. Im Oktober finden in Argentinien Präsidentschaftswahlen statt. "Die Geheimdienste sind schwarze Löcher, die unter Menem und Kirchner eine enorme Macht über die Justiz bekamen und Legales in Illegales verwandeln und umgekehrt", schrieb er in "La Nación".

Wie stichfest Nismans Beweise gegen die Kirchner-Regierung waren, ist unklar. Zwar gab es in dem Memorandum einen schwammig formulierten Paragrafen, wonach beide Parteien "den unterzeichneten Vertrag in Erfüllung der verlangten Anforderungen Interpol zur Kenntnis bringen", doch der damalige Interpol-Chef Ronald Noble erklärte, niemals habe Argentinien die Aufhebung der Haftbefehle gegen die iranischen Verdächtigen beantragt. Ohnehin war das Memorandum ein Rohrkrepierer: In Argentinien wurde es von einem Bundesgericht wegen Verfassungswidrigkeit gekippt; im iranischen Parlament wurde es nie ratifiziert. (Sandra Weiss, derStandard.at, 20.1.2015)