Die Mehrzahl der Österreicher will, dass Griechenland den Euro und die EU verlässt. Nicht gerade freundlich gegenüber dem Land, in dem wir gerne urlauben. Zudem ist es wirtschaftlich falsch. Und sicherheitspolitisch äußerst bedenklich.

Wirtschaftlich hat Österreich seinen Erfolg seit 1990 der Öffnung von Märkten zu verdanken. Zuerst Beitritt zur EU, dann Öffnung der Grenzen und Osterweiterung und die Einführung des Euro. Alle fünf Jahre konnte Österreich von einer Öffnung profitieren. Wachstum ("Österreich-Bonus"), geringe Arbeitslosigkeit, und zweithöchstes Einkommen in der EU waren die Folge.

Jetzt kommt die Entwicklung ins Stocken. Der Schwarzmeerraum wird durch den Ukraine-Konflikt erschüttert, Russland spürt die Sanktionen. Griechenland verliert durch Krise, Versteinerung und falsche Wirtschaftspolitik. Bleibt der nähere Balkan: Serbien, Kroatien und Nachbarn. Und die Hoffnung, dass die Krise in Südeuropa einmal endet - von Griechenland bis Italien und Frankreich. Und der arabische Raum plus Nordafrika sich stabilisiert, statt Flüchtlinge und Terroristen zu exportieren.

Tritt Griechenland aus der EU aus (aus dem Euro allein kann es nicht), stürzt es in eine zehnjährige Krise. Es muss den Staatsbankrott anmelden, Österreich verliert bis zu zehn Milliarden Steuergeld direkt. Bei einem Ausgleich (Schuldenschnitt) weniger, bei Schuldenstreckung noch weniger.

Beim Austritt geht ein Exportmarkt Österreichs für zehn Jahre verloren. Aber es geht noch um mehr. Serbien hat lange gezögert, ob es sich nach Russland oder nach Europa orientieren soll. Und sich hauchdünn für Europa und gegen die ewige Lockung der Gemeinschaft aller Slawen (" Panslawismus") entschieden. Warum? Weil sein treuester Verbündete und sein engster wirtschaftlicher Partner Griechenland bei der EU ist. Ebenso die nördlichen und östlichen Nachbarn. Notgedrungen muss es auch Frieden mit dem Kosovo schließen und andere Konflikte auf dem Balkan begraben.

Tritt aber Griechenland aus, reißt es Bulgarien mit in die Krise. Russland beherrscht die Krim, reicht Serbien die Hand. Dann kehren wir zurück zur "alten Geografie" Europas. Mit einem Einfluss Russlands vom Schwarzmeerraum über den destabilisierten Balkan bis 100 Kilometer an die österreichische Grenze. Worüber sich alte Kommunisten und neue Rechtsparteien gemeinsam freuen. Und Griechenland könnte sich - gegen den liebsten Feind Türkei - auch mit der slawischen Karte anfreunden. Durch Orthodoxie verbunden, und gegen die alte Besatzungsmacht und Troika.

Griechenland ist Europas Brückenkopf zum Schwarzmeerraum und nach Nordafrika, Es sichert mit Serbien die Südostflanke Europas auch politisch. Die Hoffnung lebt, dass es sich seiner alten Stärken besinnt und neue entwickelt.

Die Griechen wollen in EU und Euro bleiben. Sie haben dafür in den letzten Jahren Opfer gebracht. Löhne wurden gekürzt, Pensionen gestrichen, Reformen begonnen. Nicht die richtigen, ohne Aktivkomponente und eigenes Konzept. Immer nachträglich durch den Druck leerer Kassen, volatiler Finanzmärkte und einfallsloser Vorgaben der Troika.

Nach allen Umfragen wird die linke Syriza unter Alexis Tsipras die Wahl gewinnen. Ihr Programm ist populistisch, retro und unrealistisch. Aber die Antwort auf eine Regierung, die kein eigenes Programm hatte, alte Eliten stützte, Steuerflucht verharmloste. Sie hat immer ein Drittel der Vorgaben der Troika erfüllt und nie gesagt, wo Griechenland in 20 Jahren stehen will. Etwa statt Öl zu importieren, Solar- oder Windenergie zu nutzen, statt Kirche, Militär und Reeder steuerfrei zu stellen, Industriezentren zu gründen und Ausbildung zu verbessern. Das Steuerfluchtgeld zurückzuholen durch Zuckerbrot (Amnestie mit 20 Prozent Abschlag) und Peitsche (50 Prozent Strafe plus Gefängnis bei Aufdeckung). Einladung an Exilgriechen, Firmen zu gründen, einen Investitionsfonds zu speisen, die Privatisierung zu überwachen.

Tsipras verspricht, Löhne und Pensionen wieder zu erhöhen, Beamte wieder einzustellen, Grundsteuer und Benzin zu verbilligen. Er will einen Schuldenschnitt erzwingen. Über alles sollte man reden, wenn ein vernünftiges Konzept vorliegt. Im Programm der Syriza fehlen aber Firmengründungen, neue Industrien, Qualitätstourismus, Solartechnologie. Wenn Tsipras mehr Geld für das Griechenland von "vorgestern" verlangt, soll er es nicht bekommen.

Vielleicht hilft eine dritte Partei. "To Potami", geführt von dem Journalisten Stavros Theodorakis, könnte entweder Antonis Samaras oder Tsipras zur Mehrheit verhelfen. Vielleicht können Reformgruppen definieren, was Griechenland 2030 sein will: ein Brückenkopf Europas, ein Labor für erneuerbare Energie, ein Land mit neuen Industrien und Dienstleistungen, mit Jugend und Frauen in Führungspositionen anstelle der Old-Boys-Networks. Ein Nachbar, der Serbien die Sicherheit gibt, die richtige Wahl getroffen zu haben: den Weg nach Europa (das bei allen seinen Schwächen das überlegene Modell hat: ein Friedensmodell, mit stärkerer sozialer und ökologischer Komponente als alle Alternativen).

Hoffen wir mit den Griechen, helfen wir ihnen. Aber belehren wir sie nicht und schicken wir sie nicht weg. Im eigenen Interesse. (Karl Aiginger, DER STANDARD, 20.1.2015)