Mario Draghi, Chef der Europäischen Zentralbank, steht diese Woche vor einer schweren Entscheidung. Er möchte der Deflation in der Eurozone entgegenwirken und deshalb im großen Umfang Staatsanleihen aufkaufen. Das würde die Zinsen drücken und Geld für Bankkredite freimachen - das Rezept des "Quantitative Easing", das in den USA erfolgreich praktiziert wurde.

Aber Deutschland, ohne dessen Finanzkraft das Unterfangen nicht möglich ist, wehrt sich dagegen, die Risiken der anderen Euroländer zu übernehmen. Der pragmatische Ausweg aus diesem Dilemma besteht darin, dass nicht die EZB, sondern die nationalen Notenbanken ihre jeweils eigenen Staatsanleihen aufkaufen. Die Zinsen würden fallen, ohne dass Deutschland für andere haften müsste.

Laut Medienberichten hat sich Draghi für diesen Mittelweg entschieden. Doch es ist eine potenziell fatale Wahl, die längerfristig der Eurozone gewaltig schaden kann. Denn sie stellt die gegenseitige Solidarität und die Einheit im europäischen Notenbanksystem infrage. Wenn wieder einmal Zweifel an der Zukunft des Euro aufkommen, dann wäre diese Entscheidung für viele Investoren ein Indiz dafür, dass die Einheitswährung gar nicht so einheitlich ist - und man daher ruhig auf einen Zerfall spekulieren kann.

Grexit als Sonderfall

Solche Turbulenzen könnten schon bald einsetzen - wenn Syriza nach einem Wahlsieg in Griechenland um einen radikalen Schuldenerlass pokert und entgegen allen Beteuerungen dann ein Ausscheiden des Landes aus der Eurozone zu einem realen Szenario wird. Gerade bei einem Grexit wäre es entscheidend, dass dieser von den Finanzmärkten als Sonderfall ohne Konsequenzen für Portugal, Spanien oder Italien gesehen wird. Sonst beginnt erneut die Spekulation gegen deren Staatsanleihen, die 2012 die Eurozone so tief erschüttert hat. Durch eine Renationalisierung der Geldpolitik würde die EZB Öl auf dieses Feuer gießen - und das Tor zur Auflösung des Euro öffnen.

Was sind Draghis Alternativen? Auch wenn die Deutsche Bundesbank im EZB-Rat formal überstimmt werden kann - realpolitisch kann er nicht gegen den expliziten Willen von Angela Merkel und Wolfgang Schäuble handeln.

Aber er könnte die Entscheidung über Anleihenankäufe vertagen. Noch ist es unklar, ob die Eurozone tatsächlich in eine Deflationsspirale schlittert. Hauptgrund für die fallenden Preise ist der Absturz des Ölpreises, und der nützt der Konjunktur. Der niedrige Eurokurs sollte wiederum Importe verteuern und so die Inflation etwas anheizen.

Der fehlende Wille zu Investitionen

Und selbst wenn die Deflationsgefahr real ist: Ob "Quantitative Easing" daran etwas ändern kann, ist unsicher. Es fehlt in Südeuropa, wo die Preise am schnellsten fallen, weniger an Bankkrediten als am Willen zu Investitionen.

Bevor die EZB einen Schritt tut, der alles bisher Erreichte gefährdet, wäre es klüger, vorerst abzuwarten. Wenn es keine Zweifel mehr an einer Deflation gibt, dann wäre auch Deutschland eher für EZB-Anleihenkäufe zu haben. (Eric Frey, DER STANDARD, 19.1.2015)