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Heinz Palme lebt jetzt in Doha.

Foto: Reuters/Neubauer

STANDARD: Sie sind Vizegeneraldirektor im International Centre for Sports Security, kurz ICSS, das vor knapp vier Jahren in Katar gegründet wurde und sich um die Sicherheit von Sportveranstaltungen kümmert. Wie sehen die Aufgaben aus, wer sind die Auftraggeber?

Palme: Wir sind bei vielen großen Sportevents involviert. Wir sind für die Fifa tätig, wir hatten bei der WM in Brasilien beobachtende Funktion, wir beraten die Marathons in London, Boston und Wien. Vor der Eishockey-WM 2012 in Schweden und Finnland haben wir ein Konzept zu Krisenmanagement und Krisenkommunikation erstellt. Die russische Fußballliga ist unser Partner, wir werden wohl auch mit der WM 2018 in Russland zu tun haben, bei der WM 2022 in Katar sind wir sowieso. Ziel des ICSS ist es, die Sicherheit bei internationalen Events zu erhöhen.

STANDARD: Aber Sicherheit bei Sportevents ist doch schon viel länger ein Thema.

Palme: Nur haben bis vor kurzem das IOC, die Fifa, alle Verbände und alle Ligen ihr eigenes Ding gemacht. Wir waren die Ersten, die Grundlagenforschung betrieben und ein Modell entwickelt haben. Es gab und gibt keine vergleichbare Organisation.

STANDARD: Die Austria Presse Agentur hat Sie kürzlich mit "Hier wird nicht geredet, hier wird umgesetzt" zitiert. Das klingt, als würden Sie lieber in Katar denn in einer Demokratie arbeiten.

Palme: Die Aussage hat sich vor allem auf das ICSS bezogen. Wir sind eine private Organisation mit einem Präsidenten, einem Generaldirektor und einem Vizegeneraldirektor, das bin ich. Da passiert das meiste sehr, sehr schnell. Die drei Jahre sind auch im Eilzugtempo vergangen, mittlerweile haben wir sechzig, siebzig Mitarbeiter aus zwanzig Nationen.

STANDARD: Der privaten Organisation kommt die Sportbegeisterung des Emirs sehr zupass. Woher rührt sie?

Palme: Es stimmt, die Anlauffinanzierung des ICSS wurde von Katar gewährleistet, und der Emir schätzt unsere Arbeit. In Katars sogenannter Vision 2030 ist der Sport einer von vier Grundpfeilern, um das Land zu entwickeln. Die anderen drei Pfeiler heißen Wirtschaft, Bildung und Kultur. Der Emir hat bestimmt, dass Sport wichtig ist, und Katar versucht an Sportevents ins Land zu bekommen, was geht. Geld spielt wenig Rolle, das macht es leichter.

STANDARD: Was hat Katar auf Sicht von einer Radrundfahrt, Schwimm-WM, Leichtathletik-WM oder Handball-WM? Werden da nicht bloß Bauten aus dem Boden gestampft, die später niemand mehr brauchen kann?

Palme: Vor vierzig Jahren hat dieses Land aus Wüstensand bestanden. Gut, für die Handball-WM wurden drei neue Hallen gebaut. Wenn man etwas entwickeln will, muss man halt größer denken. Die Sportevents sollen auch dazu führen, dass die Kataris selbst aktiv mehr Sport betreiben. Natürlich muss man auch hinter die Nachhaltigkeit der Fußball-WM-Stadien ein Fragezeichen setzen, aber Katar beschäftigt sich mit diesen Fragen. Man wird sehen, was dabei herauskommt.

STANDARD: Im Dezember hat das italienische Supercupspiel zwischen Juventus und Napoli in Katar stattgefunden. Ist das keine Perversion?

Palme: Nein. Die Supercoppa wurde ja schon mehrmals im Ausland gespielt. In Italien herrscht daran kaum Interesse. In Katar lässt sich dieses Spiel einfach besser vermarkten und verkaufen.

STANDARD: Poliert Katar mit den vielen Sportevents nicht bloß sein Image?

Palme: Natürlich ist der Sport fürs Image gut. Sport bewegt und sorgt für Emotionen. Mit dem Sport kommt man rasch und oft positiv in die Schlagzeilen. Mittlerweile geht das Hand in Hand. Nicht umsonst kommen so viele Fußballvereine gerade um diese Zeit auf Trainingslager nach Katar. Man fliegt nur fünf Stunden her, das Klima ist toll, das Rundherum passt, und vor allem ist es sicher. Die Bedingungen sind ähnlich wie jene im Sommer in Österreich, wo ja auch viele Vereine zum Trainieren kommen.

STANDARD: Im Sommer allerdings herrscht gnadenlose Hitze in Katar. War die Vergabe der WM 2022 nicht allein so gesehen eine Schnapsidee?

Palme: Eine WM im Sommer würde wirklich keinen Sinn machen. Man kann zwar Stadien und Trainingszentren kühlen. Aber die WM ist das Premiumprodukt des Fußballs. Da geht es auch um Hunderttausende, die sich im Freien bewegen, vor allem um die Fans. Im Juni oder Juli ist das unmöglich in Katar. 20. November bis 20. Dezember wäre der Idealtermin. Da passt das Klima, und das Wetter ist stabil.

STANDARD: Menschenrechtsorganisationen rechnen damit, dass bis 2022 hunderte, wenn nicht tausende asiatische Arbeiter in Katar zu Tode gekommen sein werden. Muss man, wenn man wie Sie in Doha lebt, davor seine Augen verschließen?

Palme: Ich verschließe meine Augen nicht, ich bin auch kein Anwalt von Katar, und die Kritik in diesem Bereich ist völlig berechtigt. Ich sage nur, dass auch polemisiert wird in internationalen Medien, vor allem in England. Die vielen Toten auf WM-Baustellen gab es nicht, weil es noch keine WM-Baustellen gab. Es gab Tote auf anderen Baustellen, das ist richtig, und natürlich müssen die Standards verbessert werden. Aber gerade die WM ist die Chance, dass etwas weitergeht - ohne die Fußball-WM würde sich gar nichts ändern hier.

STANDARD: Glauben Sie ernsthaft, die WM wird dazu führen, dass die asiatischen Arbeiter künftig weniger ausgebeutet werden?

Palme: Es muss sich etwas verändern, es wird sich etwas verändern. Katar ist ein riesiger Arbeitgeber. Es leben mehr als 2,1 Millionen Menschen in diesem Land, nur 300.000 sind Einheimische, die anderen sind Expatriates, Gastarbeiter. Nicht nur die Kataris, vor allem auch westliche Firmen wie die österreichische Porr, die sich hier angesiedelt haben, haben Verantwortung. Hier wird rund um die Uhr gebaut, ein Hochhaus nach dem anderen, und viele Standards sind mit jenen in Mitteleuropa nicht zu vergleichen. Die meisten Arbeiter aus Indien, Pakistan und Nepal haben keine entsprechende Ausbildung, sie kommen hierher, weil sie halt immer noch erheblich mehr verdienen als daheim.

STANDARD: Und wenn sie Pech haben, nimmt ihnen der Arbeitgeber die Reisepässe ab, sie geraten dadurch zusätzlich unter Druck, müssen Lohnkürzungen akzeptieren et cetera.

Palme: Auch da wird es Änderungen und Lösungen geben. Dieses Problem betrifft vor allem die unter Anführungszeichen unterste Schicht, diese Arbeiter haben sehr wenige Rechte. In höheren Schichten reicht eine Bestätigung des Arbeitgebers, und man kann ausreisen.

STANDARD: Wie reisen Sie?

Palme: Ich habe ein Dauervisum.

STANDARD: Und im alltäglichen Leben in Doha fühlen Sie sich wohl?

Palme: Sonst wäre ich längst nicht mehr da. Bevor ich hierher gekommen bin, hatte ich überhaupt keinen Bezug zum arabischen Raum. Aber man kann hier ganz normal leben, es gibt keine Restriktionen abgesehen davon, dass man öffentlich keinen Alkohol trinken darf und verschleierte Frauen nicht anstarren sollte. Aber es gibt keine Gewalt, keine Sicherheitsprobleme, es ist eine friedvolle Umgebung.

STANDARD: Worauf führen Sie das zurück?

Palme: Es ist vor allem eine kulturelle Geschichte - die Araber und auch die Asiaten, die hier arbeiten, sind eher ruhige Menschen. Natürlich spielt auch die restriktive Handhabe mit. Es ist den Leuten klar, dass man sich einige Sachen besser nicht erlaubt. (Fritz Neumann aus Doha, DER STANDARD, 17./18.1.2015)