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ÖBB-Chef Christian Kern gilt als Medienprofi und messerscharfer Rhetoriker. Bei seinen Auftritten überlässt er nichts dem Zufall.

Foto: Picturedesk, Verlagsgruppe News, Zach Kiesling

Vranitzky-Boy: Christian Kern 1989 als VSStÖ-Kandidat in der Zeitschrift "Rotpress".

Screenshot: Rotpress

Was ihn erwarten könnte, sollte er jemals ein hohes politisches Amt innehaben, wusste der damalige Publizistikstudent bereits 1997: "Kaum etwas ist für zweifelnde Politiker quälender als die Minuten nach einer entscheidenden Fernsehdiskussion, in denen das Autotelefon auf dem Heimweg vom Küniglberg einfach nicht klingeln will und der zustimmende und ermunternde Anruf ausbleibt", gibt Christian Kern im Vorwort seiner Diplomarbeit über die innenpolitische Berichterstattung der österreichischen Tageszeitungen im Jahr 1993 Einblick in seine Tätigkeit als Pressesprecher in der SPÖ. Mittlerweile hat das Smartphone das Autotelefon abgelöst. Und Christian Kern hat einen steilen Aufstieg hingelegt. Im Juni 2010 absolvierte der 49-jährige Wiener seinen vorerst letzten Karriereschritt an die Spitze der Österreichischen Bundesbahnen. Mindestens ebenso lange wird er als SPÖ-Personalreserve gehandelt.

Aufstieg des Arbeiterkindes

Ausgerechnet Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ), die mit Kern ein langjähriges, professionelles Verhältnis aus ihrer Zeit als Infrastrukturministerin verbindet, hat die seit Jahren anhaltenden Gerüchte über die Politikambitionen des Topmanagers forciert, indem sie ihm attestierte, für die Politik nicht geeignet zu sein. Kern dementierte nach einigem Zuwarten via Österreich Ambitionen auf Werner Faymanns Job. Entsprechend der Fellner'schen Neigung zur Zuspitzung könnte das womöglich eine Spur zu deutlich ausgefallen sein. Kerns Ansicht nach gibt es für politische Spekulationen dieser Art "absolut keinen Anlass".

Dass er "keinerlei Ambition" haben soll, politisch tätig zu sein, deckt sich ganz und gar nicht mit Kerns bisheriger Vita. So ist der Chefsessel im staatsnahen Bahnunternehmen ein hochpolitisches Amt. Wer Bund und Länder zu seinen wichtigsten Kunden zählt, wer mit den Eigentümern großer Industriekonzerne regen Austausch pflegt, dem wird das nicht ohne politisches Geschick gelingen.

Heimatliche Erde

Spätestens seit dem bescheidenen Parteitagsvotum von 83,9 Prozent ist SPÖ-Chef Werner Faymann so schwer beschädigt, dass mancher Genosse die öffentliche Suche nach Alternativen bereitwillig unterstützt. Der steirische Landeshauptmann Franz Voves formuliert es so: "Die Sozialdemokratie braucht keine Angst zu haben vor Quereinsteigern." Kern sei "mit Sicherheit politiktauglich".

Was Voves und Kern verbindet: Sie sind Arbeiterkinder. Auf seine Simmeringer Wurzeln nimmt Kern - er ist Sohn einer Sekretärin und eines Elektroinstallateurs - gerne Bezug. Zuletzt bei der Weihnachtsfeier im neuen ÖBB-Hauptquartier am Wiener Hauptbahnhof. Da erklärte der Chef den versammelten Vorstandskollegen launig, warum sein Finanzvorstand Josef Halbmayr ein repräsentatives Büro mit Blick auf Döbling, die Berge und die Innenstadt habe, während vor seinen Fenstern die Gasometer und die Müllverbrennungsanlage aufragen. Er schätze einfach den Blick auf die heimatliche Erde.

Erste Sporen in der Politik hat sich Kern als Klassensprecher im Simmeringer Gymnasium und bei der Gründung einer grünen Alternativen Liste verdient. Sein Engagement beim Verband Sozialistischer StudentInnen - einerseits als Studentenpolitiker, andererseits als Chefredakteur der Rotpress, des Blattes des VSStÖ, sollte sich als Karriereturbo erweisen.

Seine journalistische Karriere hat Kern beim Wirtschaftspressedienst sowie beim Wirtschaftsmagazin "Option" fortgesetzt - bis er schließlich 1991 unter Franz Vranitzky Assistent von Peter Kostelka wurde, zunächst zur Unterstützung des damaligen Staatssekretärs im Bundeskanzleramt, später als Büroleiter und Pressesprecher im Parlament, als Kostelka zum Klubchef aufgestiegen war. Im Jahr 1997 wechselte Kern zum Stromanbieter Verbund. Vom Vorstandsassistenten brachte er es 2007 zum Vorstand.

Männerfreundschaften

Auffällig ist: Kern umgibt sich in seinen Jobs gerne mit langjährigen Wegbeleitern. Stefan Pöttler etwa, Kerns rechte Hand bei der ÖBB, kennt der Topmanager aus VSStÖ-Zeiten. Danach dienten beide im roten Parlamentsklub unter Kostelka. Stationen beim der Wiener SPÖ nahestehende Echomedienhaus sowie im Kanzlerbüro Alfred Gusenbauers folgten. Nun sitzt Pöttler wieder mit seinem Freund unter einem Dach. Der Ex-Kanzlersprecher arbeitet seit eineinhalb Jahren in der Kommunikationsabteilung der ÖBB. Offizielle Job-Description: "Corporate Affairs", also politisches Lobbying, de facto gilt Pöttler als eine Art "Mädchen für alles", was die öffentliche Positionierung des Konzernchefs anlangt. Mit ihm bespricht Kern, welche Außenwirkung sein Handeln hat oder haben soll. In dieser Funktion ist Pöttler nicht allein: Auch David Mock, einst Sprecher des damaligen SP-Chefs Viktor Klima, werkt in der bahneigenen Kommunikationsabteilung, unter anderem als Ideengeber, wie es heißt.

Der ÖBB-Chef umgibt sich nicht nur mit Profis der politischen Kommunikation. Er ist auch mit SPÖ-Spitzenpolitikern bestens vernetzt. Beim Wiener Traditionsklub Austria Wien etwa sitzt Kern gemeinsam mit dem Wiener Bürgermeister Michael Häupl und dem burgenländischen Landeschef Hans Niessl im Kuratorium. Die Kontakte des Simmeringers reichen aber auch in die schwarze Reichshälfte hinein.

Dass niemand offiziell zitiert werden will, der mit dem Bahnchef näher zu tun hat, zeigt, dass Kern keiner ist, der bei der ÖBB bloß den Chefsessel wärmt. Einzig Joe Kalina, Ex-Sprecher von Kanzler Viktor Klima, hat nichts dagegen, seinen Namen in der Zeitung zu lesen. Der Kommunikationsberater kennt Kern schon aus den Tagen bei Kostelka.

Die Vranitzky-Boys

Schon damals sei er mit schicken Anzügen, gepflegter Sprache und souveränem Auftreten aufgefallen. "Christian Kern wirkt bürgerlicher, als er ist", sagt Kalina über seinen einstigen Weggefährten von der "smarten Truppe im Stile der Vranitzky-Boys". Damals, in den 1990er-Jahren, sei es üblich gewesen, wie "Schnösel" aufzutreten. Vorbild waren die Spindoktoren von Bill Clinton und Tony Blair. Inhaltlich hatte er schon als junger Roter einiges drauf, erinnert sich Kalina. Als Kostelkas Pressechef habe er sich ein umfassendes Wissensrepertoire angeeignet. Vom Allgemeinen Sozialversicherunggesetz bis zur Außenpolitik. Für Kalina ist der Befund, Kern sei für die Politik nicht geeignet, "sicherlich falsch".

Kern, der junge Aufsteiger im Anzug, war vielen Genossen in der jungen Generation und beim VSStÖ nicht ganz geheuer. Noch heute habe er damit zu kämpfen, dass ihm "sein sehr gefestigtes Auftreten mitunter als Arroganz ausgelegt wird", weiß ein anderer Wegbegleiter. Kerns Vorliebe für teure Anzüge und perfektes Styling hat ihm bei der ÖBB den Spitznahmen CK eingebracht. CK, bevorzugt englisch ausgesprochen in Anspielung auf das Modelabel Calvin Klein.

Einer, der Kern noch aus Verbund-Zeiten kennt, bescheinigt ihm "ein gutes Sensorium dafür, was gerade noch geht". Sein Arbeitsstil wird, egal wen man fragt, im immer gleichen Licht gezeichnet: hohe Erwartungen an sich und sein Umfeld, smart, erfasst Themen schnell, stellt die richtigen Fragen. Gleichzeitig gibt er sich sehr höflich, verliert aber leicht die Geduld, wenn sein Gegenüber nicht gut vorbereitet ist oder nicht zum Punkt kommt. Positiv formuliert, fordert er sein Team. Man bekommt aber auch von zahlreichen Meetings zu hören, in denen der Chef seine messerscharfe Rhetorik auspackt und sich darin übt, auf sehr distanzierte Art beinhart zu sein. Lob verteilt er eher spärlich. Dafür schätzt man in Kerns Führungsteam dessen Fähigkeit, politische Interventionsversuche abzufangen.

Öffentlichkeitsarbeiter

Vor allem aber hat sich der Chef bei vielen Mitarbeitern beliebt gemacht, weil er der geprügelten Eisenbahnerseele ihren Stolz zurückgegeben hat. Seit Kern im Führerstand ist, müsse man sich im Wirtshaus nicht mehr dafür schämen, bei der ÖBB zu arbeiten, erzählt eine Mitarbeiterin dem STANDARD. Auch habe er abgestellt, dass Interna aus dem Konzern an die Medien weitergegeben werden. Dass in der medialen Kommunikation unter Kern alles glattgelaufen ist, kann man trotzdem nicht behaupten. Etwa als es darum ging, der Öffentlichkeit die falschen Achsen an den Hochgeschwindigkeitszügen Railjet zu erklären. Zuerst wurde einfach versucht, die Probleme wegzudiskutieren, erst später räumte die Bahn Fehler ein und handelte.

Was sein Privatleben betrifft, ist Kern darauf bedacht, dieses auch privat zu halten. Auf seiner Facebook-Seite positioniert er sich mitunter als lockerer Typ. So ließ er sich bei der Ice Bucket Challenge, einer Spendenaktion für von der Nervenkrankheit ALS Betroffene, einen Kübel Eiswasser über den Kopf leeren - und zwar von seiner Ehefrau Evelyn Steinberger-Kern. Diese arbeitete wie ihr Mann einst beim Verbund, ging zu Siemens, und berät nun in ihrer eigenen Firma Unternehmen im Bereich Nachhaltigkeit. Mit ihr hat Kern eine Tochter im Volksschulalter, drei Söhne stammen aus seiner ersten Ehe.

Hausmacht fehlt

Ist der ÖBB-Chef, dieser eloquente Redenschwinger mit dem Arbeiterhintergrund, der perfekte Kanzlerkandidat? Einige Beobachter sehen Kerns größtes Hemmnis auf dem Weg in die Spitzenpolitik in der fehlenden Hausmacht innerhalb der Sozialdemokratie. Via Facebook ließ der ÖBB-Chef unlängst wissen, dass er zurzeit auf die neue Single des Brit-Poppers Noel Gallagher abfährt, "In the heat of the moment". Noch ist dieser hitzige Moment für Christian Kern nicht gekommen - zumindest was die Frage der Faymann-Nachfolge betrifft. Nur eines gilt schon jetzt als gewiss: Das Verhältnis der beiden ist, gelinde gesagt, unterkühlt. Kern wird nachgesagt, den amtierenden SPÖ-Chef für eine ziemliche Fehlbesetzung zu halten. (Katrin Burgstaller, Karin Riss, DER STANDARD, 17.1.2015)