Immer wieder werden in Bosnien-Herzegowina illegale Waffen eingesammelt. 750.000 sollen noch im Umlauf sein.

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Die geheime Hülse IK 86", steht in großen Lettern auf dem Cover des Magazins Dani, als handle es sich bei dem Behältnis um einen Schlüssel zur Enträtselung des Anschlags in Paris. Gezeigt wird die Eingravierung IK 86, die für "Igman Konjic 1986" steht, eine bosnische Waffenfabrik, in der 1986 die Patrone hergestellt wurde, die nun die Terroristen verwendeten. Es scheint so, als würde diese Gravur direkt nach Bosnien-Herzegowina zeigen und den Argwohn gegenüber dem südosteuropäischen Land nähren.

Dort fühlen sich ohnehin viele einem Generalverdacht ausgesetzt. Denn die Mehrheit sind Bosniaken kommen also aus Familien mit muslimischen Hintergrund. Wer in diesen Tagen in Sarajevo die Morde in der französischen Hauptstadt thematisiert, hört zunächst oft die Worte: "Ich bin kein Terrorist, und diese Terroristen sind keine Muslime." Diese Reaktion hat wohl auch noch mit der serbischen und kroatischen Propaganda im Krieg (1992-1995) zu tun, mit der man versuchte, Bosniaken pauschal als Terroristen zu diskreditieren.

750.000 illegale Waffen

Die Scham darüber, dass es Muslime waren, die töteten, der Wunsch nach Abgrenzung vom Terror ist nun riesengroß. Das führt mitunter sogar zu Realitätsverweigerung und Verschwörungstheorien ("Das war der französische Geheimdienst"). Und jetzt auch noch diese unselige Patronenhülse! Dabei kann die Patrone durchaus legal in jugoslawischer Zeit verkauft, sie kann auch danach gestohlen und verhökert worden sein. Nach den Balkankriegen der 1990er-Jahre kamen zahlreiche Waffen und Munition in private Hände, auch die italienische Mafia wurde verdächtigt, damit Handel zu treiben.

Laut einem Bericht des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) aus dem Jahr 2001 haben die Bosnier selbst illegal 750.000 Kleinwaffen bei sich zu Hause, jeder fünfte Bürger besitzt also eine Pistole oder ein Gewehr. Allein zwischen 2009 und 2012 wurden 4,5 Tonnen an Munition zerstört. Immer wieder gibt es Versuche, die Waffen per Amnestieerlass einzusammeln. Doch die Angst vor einem Krieg ist noch bei vielen präsent.

"Wir wissen, was Krieg bedeutet"

Vielleicht auch deshalb fügten viele Bosnier nach der Verurteilung der Terrorakte oft ein "aber" an, mit dem Hinweis auf Opfer in Syrien, im Irak und auf die Lage der Palästinenser. "Wir wissen eben, was Krieg bedeutet. Alles, was denen passiert, passierte auch uns", sagt die Studentin Aida T. Dass sie sich als Muslima mit Muslimen identifiziert, bestätigt sie nicht, es ist aber offensichtlich.

Insbesondere bosnische Atheisten kritisieren dieses "aber" und die zweifelhaften Vergleiche scharf. "Entweder man verurteilt die Anschläge oder nicht", meint Eldin Hodzic. Tatsächlich berührt das Attentat auf die Religionskritiker von Charlie Hebdo die Bosnier auf eine besondere Weise. Denn Atheisten sind hier aufgrund der Verfassung, die auf die drei großen Volksgruppen fokussiert ist, diskriminiert. "Allein wenn man hier sagt, dass man einer Religion angehört, bringt dies bereits politische und wirtschaftliche Vorteile", so Hodzic.

Toleranz gegenüber Andersgläubigen, aber wenig Liberalität

Leute, die sich zu keiner ethnisch-religiösen Gruppe bekennen, haben keine Repräsentanz. Es gibt zwar Toleranz gegenüber Andersgläubigen, aber wenig Liberalität. Der typisch bosnische Versuch, alles auszubalancieren, führt zu absurden Vorschlägen. Die Schulfreunde Mario (ein Katholik) und Ervin (ein Muslim) sind etwa dafür, dass nicht nur Mohammed-, sondern auch alle Jesus-Darstellungen verboten werden sollen.

Die Medien betrachten nicht nur sie misstrauisch. "Die Berichterstattung ist heuchlerisch", sagt der 25-jährige Literaturstudent Kenan T. "Die Tragödie in Palästina bekommt viel weniger Aufmerksamkeit als das Attentat in Paris." Auf Facebook ist sogar Zustimmung zum Attentat zu finden. "Egal, wer sie umgebracht hat, Gratulation. Ich ficke deren französische Mutter", schreibt etwa Haris K. über die Karikaturisten. Antifranzösische Ressentiments tauchen auf. "So viele Opfer in Srebrenica, aber nirgends ein Franzose, um sie zu retten", bezieht sich Admir O. auf den Genozid 1995.

Kompliziertes Verhältnis

"Das Verhältnis zu Frankreich ist kompliziert und hängt mit den Erinnerungen an den Krieg zusammen", sagt der deutsch-französische Historiker Nicolas Moll. "Viele bosnische Muslime denken bei Frankreich an Mitterrand und seine Weigerung, während des Kriegs militärisch zu intervenieren, sie sehen Frankreich durch diese Brille als proserbisch und antimuslimisch." Moll verweist aber auf Charlie Hebdo-Karikaturen aus der Kriegszeit, die nun gezeigt werden, um zu demonstrieren, dass das Blatt damals auf der Seite der Muslime stand. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, DER STANDARD, 17.1.2015)