Die Sorge treibt den Bürger auf die Straße. Die Kanalisierung der Sorge verwundert dennoch. Weder TTIP noch etwaige Bankenrettungen haben solche Protestströme hervorgerufen, ebenso wenig die aufgehende Schere zwischen Arm und Reich.

Auch nicht die Tatsache, dass die Superreichen noch superreicher werden, während der Mittelstand bröselt (auch wenn es vorläufig zu keinem Notstand kommt), und die chancenlosen Schichten noch chancenloser. Die Attentate von Paris werden von Pegida für sich vereinnahmt werden ebenso wie das diffuse Gefühl des Verlustes.

Diese Sorgen und Ängste liegen bei genauerer Betrachtung eher in den obengenannten Tatsachen begründet als in der tatsächlichen Bedrohung durch einen überbordenden radikalisierten Islam, von Hasspredigern und den daraus resultierenden Terrorgeneigten aller Art abgesehen. Diesen muss selbstverständlich der Riegel vorgeschoben und für Aussteiger und deren Angehörige entsprechende Anlaufstellen geboten werden.

Das gilt übrigens genauso für Aussteiger aus der rechten Szene, die in der Pegida eine gutgenützte Plattform findet: Beide Systeme sind sich ähnlicher, als sie es wahrhaben wollen. Radikalisierte jeder Machart sind eine Gefahr für das Zusammenleben all jener, die sich ihren Moralvorstellungen nicht beugen wollen. Die Gegendemos gegen Pegida wachsen nun ebenfalls.

Eine Gesellschaft, die offen bleiben will, kann sich keine Hetze von welchem Rand auch immer leisten. Eine solche Gesellschaft muss sich selbstverständlich auch verteidigen können: im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten. Und mit der Sicherung gleicher Chancen für alle, um Aufhetzern den Wind aus den Segeln zu nehmen. (Julya Rabinowich, DER STANDARD, 17./18.1.2015)