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Survival-Trip in der schönen, aber auch gefährlichen Natur: Reese Witherspoon macht sich in "Der große Trip - Wild" auf eine monatelange Wanderung durch die Vereinigten Staaten.

Foto: AP / Fox Searchlight Pictures

Wien - Es ist nur der halbe Mensch, wenn man ihn entweder als Körper oder als Geist sieht. Und es ist die wohl größte Liebeserklärung, die man jemandem machen kann, wenn man wie Paul Celan an Ingeborg Bachmann schreibt: "Du warst, als ich Dir begegnete, beides für mich: das Sinnliche und das Geistige."

So gesehen ist es eine große Verbeugung, die Jean-Marc Vallée (Dallas Buyers Club) in Der große Trip - Wild vor seiner Protagonistin Cheryl Strayed macht. Der Film basiert auf Strayeds gleichnamigem Buch, in dem sie von ihrer Wanderung auf dem Pacific Crest Trail im Jahr 2012 erzählt. Dieser Trail, das muss man wissen, führt von der mexikanischen bis zur kanadischen Staatsgrenze und ist im Ganzen 4240 Kilometer lang; Strayed war darauf monatelang unterwegs. Das ist keine erbauliche kleine Wanderung, das ist ein Survival-Trip für sehr Selbstdisziplinierte. Genau das war Cheryl Strayed lange nicht mehr gewesen: Nach dem frühen Krebstod ihrer Mutter fing sie an, Heroin zu nehmen und ihren Mann relativ wahllos mit fremden Männern zu betrügen.

Anders als ältere Rockherren, die nach Jahrzehnten von Sex and Drugs plötzlich Yoga und makrobiotische Ernährung propagieren, nimmt Reese Witherspoon als Cheryl Strayed den schweißtreibenden, blutigen und gefährlichen Weg. Sie macht sich allein auf eine Wanderung, vor der sie selbst den größten Respekt hat.

Schwere Schritte im Sand

Hier nun zeigt Vallée sie gleichermaßen als Körper und Geist. Wenn sich Witherspoon mit dem viel zu großen Rucksack, in ihren zu kleinen Schuhen auf den Weg in die flirrende Hitze macht, hört man ihre Füße so nachdrücklich in den sandigen Boden stapfen, dass man fast spüren kann, wie schwer ihr jeder Schritt fallen muss. Wenn sie nach langer Durststrecke endlich Wasser findet, übertönt das Geräusch ihres Schluckens alles. Und in den vielen kurzen, surreal-rauschhaften Rückblenden ist sie ohnehin pure Körperlichkeit: ein Körper, der sich Heroin in den Fuß spritzen lässt. Der sich hinter einer Mülltonne auf offener Straße ficken lässt.

Der Geist in diesem Körper teilt sich durch die Gedanken und Selbstgespräche Strayeds mit. In den Zitaten, die sie in den Gästebüchern am Weg hinterlässt und die sie zu einer Berühmtheit am Pacific Crest Trail werden lassen. Sie kommt auf dieser Reise nur zwischendurch unter Menschen, Innenleben und Erinnerungen bevölkern den Film. Dass diese Rückblenden auch musikalisch stimmig sind, liegt wohl daran, dass der popmusikalisch sattelfeste Nick Hornby das Drehbuch geschrieben hat.

Strayed gibt eine überzeugte Feministin zu erkennen, die im College gemeinsam mit ihrer hippieesken Mutter (von Laura Dern mit einem großen, reinen Herzen versehen) studiert, wo sie unter anderem Erica Jong lesen, die mit dem "zipless fuck" den perfekten One-Night-Stand zur Wunschfantasie erhoben hat.

Dass die Gefahren auf ihrem Weg nicht nur von der wilden Natur, sondern auch von wild gewordenen Männern kommen könnten, das weiß Strayed. Man spürt es, wenn die Kamera ihrem Blick folgt, mit dem sie an einer Tankstelle mögliche Mitfahrgelegenheiten begutachtet - um dann zu einem Ehepaar in den Wagen zu steigen. Jede alleinreisende Frau versteht diesen Blick. Ein beiläufiger Kommentar dazu, was Frau sein - auch in der freien westlichen Welt - immer noch heißt.

Es sind in den gut zwei Stunden dann ein bisschen viele der Gefahren und Herausforderungen, und man hat als Zuschauer, als Zuschauerin schon ein wenig früher das Gefühl, es jetzt aber auch mal verstanden zu haben. Reese Witherspoons Tour de Force aber, ihr Mut, Geist und Körper zu sein, lassen auch diese gefühlte Überlänge verschmerzen. (Andrea Heinz, DER STANDARD, 17./18.1.2015)