Wien – Analysten verabscheuen Überraschungen. Selbst wenn ein Ereignis unvorhergesehen eintritt, würden sie dies fast nie zugeben. "Das war zu erwarten", lautet daher einer der Standardsätze aus der Branche, wann immer eine Währung auf einmal abstürzt oder plötzlich die Inflation ansteigt. Am Donnerstag war das anders.

Die Entscheidung der Schweizer Notenbank (SNB), die Anbindung des Franken an den Euro aufzugeben, erwischte Marktbeobachter derart unerwartet, dass niemand mehr seine Verblüffung verbarg. Bei der Commerzbank in Frankfurt war ebenso wie bei Tradern in Budapest von einer "überraschenden Wende" die Rede.

Im September 2011 hatte die SNB nach einer massiven Aufwertung der Schweizer Währung gegen den Euro eine Grenze gezogen. Für einen Euro durfte man seither nicht weniger als 1,20 Franken bekommen. Die SNB intervenierte rege am Devisenmarkt, um diese Grenze zu verteidigen. Seit Donnerstag nun ist der Franken wieder freigegeben. Die Folgen waren weitreichend:

  • In der Spitze legte der Kurs der Schweizer Währung gegen den Euro um fast 40 Prozent zu. Am Nachmittag beruhigte sich die Lage etwas. Für einen Euro bekam man trotzdem nur noch 1,028 Franken – das sind um rund 15 Prozent weniger als am Vortag.
  • An der Schweizer Börse gab es die schlimmsten Kursstürze seit 25 Jahren. Der Aktienwert von umsatzstärksten Firmen wie Swatch und UBS reduzierte sich um 85 Milliarden Euro.
  • Die Turbulenzen griffen auf Osteuropa über: Anleger verkauften Forint. Die ungarische Währung stürzte auf ein Allzeittief gegenüber dem Euro ab. Noch stärker waren die Verluste beim polnischen Zloty, den Investoren ebenso loswerden wollten.

Verkäufe im Osten

Aber warum löst ein Währungsentscheid in der Schweiz solche Turbulenzen aus – alles nur Panikreaktion? Nein. Tatsächlich müssen mehrere europäische Staaten einen stärkeren Franken fürchten – besonders Österreich.

So sind viele heimische Kreditnehmer in Franken verschuldet. Zwar haben Banken zuletzt eine Konvertierungspolitik gefahren – Frankendarlehen wurden also in Eurokredite getauscht. Doch noch immer notiert rund ein Fünftel der ausstehenden Haushaltsdarlehen in der Schweizer Währung – das entspricht 27 Milliarden Euro.

Die meisten Franken-Schuldner müssen während der Darlehenslaufzeit nur Zinsen abzahlen. Gleichzeitig sparen sie in einem Tilgungsträger an (der meist aus einem Wertpapiermix besteht). Am Ende soll damit der Kredit abbezahlt werden. Doch bereits seit Jahren klafft hier eine Lücke: Die Tilgungsträger sind weniger wert als die Kredite. Bei der letzten Erhebung der Oesterreichischen Notenbank belief sich die Lücke auf fünf Milliarden Euro. Bei anhaltender Franken-Stärke wird sich Differenz ausweiten.

Probleme bekommen auch Bankkunden in Osteuropa. Besonders in Ungarn, Polen, Kroatien und Serbien wurde ein beträchtlicher Teil der Hypotheken in Franken vergeben. Hier spüren die Menschen die Aufwertung prompt, weil sich die monatlichen Rückzahlungen sofort verteuern – für den Konsum bleibt weniger. In Kroatien, das seit sieben Jahren in einer Rezession steckt, dürfte sich die Konjunktur daher weiter eintrüben, sagt Vladimir Gligorow, Ökonom am Wiener Institut WIIW.

Neue Probleme für Erste, Raiffeisen und Co

Schuldner unter Druck in Österreich, Schuldner unter Druck in Osteuropa: Diese Gemengelage wird für die heimischen Banken gefährlich. Die österreichischen Institute und ihre Töchter haben in Osteuropa Kredite im Wert von 230 Milliarden Euro ausständig - 40 Prozent davon in Fremdwährungen, allen voran Euro. Österreichs Banken tragen ein höheres Risiko in der Region und sind zudem schwächer kapitalisiert.

Konkret wirkt sich die Franken-Entwicklung bereits in Ungarn aus. Die Regierung unter Premier Viktor Orbán hat 2014 festgelegt, dass die vielen Fremdwährungskredite im Land in Forint konvertiert werden müssen. Orbán wollte die Banken nicht wieder zu stark belasten. Deshalb wurde im November ein Wechselkurs fixiert, der nah am Marktwert war. So sollten die Schuldner für einen Franken 256,5 Forint bezahlen. Doch am Donnerstag kostete ein Franken bereits 305 Forint. Die Notenbank in Budapest stellte klar, dass sie den Tausch dennoch zu den ursprünglichen Bedingungen durchziehen wird. Den Verlust müssten dann die Kreditinstitute tragen, sagt Gergely Pálffy, Analyst beim Budapester Finanzdienstleister Buda-Cash. (András Szigetvari, DER STANDARD, 16.1.2015)