Die Frauen stellen sich den Jihadisten am energischsten entgegen: In Abderrahmane Sissakos Film "Timbuktu" verbieten die Glaubenskrieger der Bevölkerung einer ganzen Stadt gleichsam über Nacht die Ausübung vieler zivilen Freiheiten.

Foto: Filmladen

Wien - Es sind ganz praktische Fragen, die die Marktfrauen von Timbuktu bewegen. Die Jihadisten sind in der Stadt angekommen, auf Motorrädern kurven sie durch die Straßen und verkünden ihre Vorschriften. Frauen, heißt es beispielsweise, hätten von nun an ihr Haar zu verhüllen, und nicht nur das: Auch nackte Hände seien unziemlich. Aber wie soll das denn gehen, mit Handschuhen Fisch zu verkaufen, kontern die Verkäuferinnen streitlustig. Doch solche Einwände wollen die Eindringlinge mit ihren Kalaschnikows nicht hören, Widerspruch dulden sie nicht, denn Gesetze sind in ihren Augen nun mal dazu da, strikt befolgt zu werden.

Timbuktu, so wie die Oasenstadt in Mali, heißt der Film von Abderrahmane Sissako (Bamako). Er schildert die Verhärtung der Gesellschaft unter islamistischen Rebellen um 2012, er findet drastische, grausame, auch kuriose und lachhafte Beispiele für deren Kampf gegen kulturelle Vielfalt. Schritt für Schritt rauben sie den Menschen Selbstverständlichkeiten ihres Lebens, ohne dass diese etwas anderes dafür gewönnen.

Sissako, selbst in Mali aufgewachsen, stellt eine Hirtenfamilie in den Mittelpunkt seines Films, gruppiert jedoch etliche weitere Episoden um andere Figuren um diese herum - ein sternförmiges Erzählen, das Timbuktu ein weiteres Resonanzfeld ermöglicht. Recht und Gerechtigkeit (und nicht etwa Gewalt und Terror) bleiben die bestimmenden Topoi, an denen er die Veränderungen verdeutlicht.

Was die Familie anbelangt, bringt deren Kuh namens GPS (ein charakteristischer Gag des Regisseurs) die Dinge in Bewegung. Ein Fischer tötet sie, es kommt zum Streit. Ein Schuss aus der Pistole Kidanes (Ibrahim Ahmed), des Hirten, löst sich und tötet dessen Gegenüber. Vor dem von den Jihadisten einberufenen Scharia-Gericht wir der Fall eher rustikal behandelt, Kidane drängt darauf, zumindest seine Frau und Tochter noch einmal sehen zu dürfen - ein gutes Beispiel dafür, wie Sissako tragische und komische Töne gleichsam nebeneinander zum Klingen bringt.

Timbuktu ist auch ein sinnfälliges Beispiel dafür, wie unterschiedlich sich afrikanisches Kino dem Feld Islamismus zu nähern vermag. Von den funktionalen islamistischen Bösewichten, die den westlichen Mainstream bestimmen, ist hier nichts zu entdecken. Sissako zeigt die Menschen hinter dem medialen Schreckensbild. Das ist schon deshalb viel klüger, weil sie angreifbarer, kleiner und lächerlicher erscheinen.

Koran als Auslegungssache

Ein anderes Beispiel: die Sprache. Sprachbarrieren treten im Film an allen möglichen Stellen zutage, unter anderem deshalb, weil das Arabisch, das sich manch einer der jungen Jihadisten angeeignet hat, eben noch so rudimentär ist, dass es schlichtweg kaum zu verstehen ist. Es geht aber um mehr als solche Pointen, schließlich spielen auch die unterschiedlichen Auslegungen des Koran eine Rolle. Der ortsansässige Imam weist die Neuankömmlinge gleich einmal aus der Moschee, weil sie mit Waffen hinein marschieren. Später wird auch darüber gesprochen, mit welchem Recht man sich anmaßt, über andere zu urteilen.

Das tun die Glaubenskrieger freilich am liebsten. Sissako veranschaulicht mit szenischen Gegenüberstellungen aber, wie unverhältnismäßig jene agieren, die sich als die Bewahrer von Sitte und Moral ausgeben. Wer Musik spielt oder singt, wird zur Strafe öffentlich ausgepeitscht; wenn sich ein unverheiratetes Paar der Liebe hingibt, droht gar Steinigung - umgekehrt kann ein Mann eine Frau heiraten, ohne dass diese ihr Einverständnis gibt.

Die Dialektik, mit der Sissako erzählt, mag noch von seinem Filmstudium in Moskau (zu Sowjetzeiten) herrühren. Allerdings löst er Widersprüche nicht auf, sondern überlässt es dem Zuschauer, die Eindrücke zu vervollständigen. Was er hingegen vorgibt, ist ein Erzählrhythmus, der den Bildern Zeit lässt, ihre Wirkkraft zu entwickeln. Mitunter mit magischem Effekt: Ein Fußballspiel ohne Ball wird zum Sinnbild des Widerstands.

Trotz der Tragik, die dem Film innewohnt - er formuliert keinen Ausweg -, bleibt Timbuktu ein Film der Unterhandlung: Er zeigt die wenigen verbleibenden Räume auf, in denen noch das Wort geführt wird. Gleichzeitig macht er unmissverständlich klar, dass die Gewalt dort beginnt, wo die Rede absolut gesetzt wird. Dann sprechen auch bei Sissako nur noch die Salven aus den Gewehren. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 15.1.2015)