Es ist ein gefährliches Fahrwasser, in das sich derzeit jeder begibt, der nach den Anschlägen von Paris eine Religionskritik beziehungsweise Reflexion von Muslimen über den Islam einzufordern versucht. Der Schritt zu Pauschalverunglimpfungen ist für viele nicht weit, der Unterschied zu Unmutsäußerungen auf Pegida-Demonstrationen zumindest gefühlt ein marginaler. Man dürfe eine Minderheit, die durch die Gräueltaten von Paris wohl noch weiter unter Druck geraten wird, nicht noch zusätzlich belasten, heißt der gutgemeinte Ratschlag von umsichtigen Mitmenschen. Und antimuslimische Übergriffe bezeugen denn auch, dass "Hassprediger" wie Le Pen und Konsorten in europäischen Breiten genauso Erfolg haben.

Argumentationsmuster durchbrechen

Dennoch: Langfristig gesehen kann Stillhalten nur das falsche Rezept sein, um zukünftig das Abgleiten von weiteren Jugendlichen in eine Welt, die eben tatsächlich nichts mit der von der muslimischen Mehrheit gelebten Realität zu tun hat, zu verhindern. Muslime täten gut daran, sich gegen die Heilsversprechen des Jihadismus zu immunisieren und, wie es schon andere Religionen zuvor geschafft haben, sich von Fundamentalismus abzugrenzen.

Das hieße aber eben nicht nur, sich von Gewalttaten im Namen der Religion zu distanzieren, sondern die Argumentationsmuster der "Verführer" aktiv zu durchbrechen zu versuchen. Das wiederum verlangt nach einer intensiven Auseinandersetzung und Diskussion der Inhalte des Koran, im besten Fall sogar einem Infragestellen von bisherigen Dogmen.

Dass das nicht pauschal von jedem Menschen muslimischen Glaubens eingefordert werden kann, versteht sich von selbst. Es sind die gefragt, die die Communitys in Europa schon bisher aktiv mitgestaltet haben. Viele von ihnen sind vermutlich auch bereits dabei, ausgiebig über die Implikationen von Terrorismus für ihre Gemeinde zu konferieren.

Ideologie als Rechtfertigung

Dennoch scheinen zumindest im medialen Diskurs jene Stimmen die Oberhand zu haben, die versuchen, einen Zusammenhang zwischen Islam und den Terroranschlägen in Abrede zu stellen. Wenn es auch von Indonesien über den Irak bis hin zu Österreich die verschiedensten Auslegungen gibt, wie der Islam zu praktizieren sei, muss doch auch jedem klar sein, dass es in dieser Religion anschlussfähige Elemente gibt, die die Entwicklung eines radikalen Fundamentalismus erst ermöglicht haben. Insofern haben der Islam und die Anschläge von Paris sehr wohl etwas miteinander zu tun.

Ideologien gestalten unsere Welt und schreiben Geschichte. Viele der jungen Männer wären auch ohne ihren Jihadismus verzweifelt, frustriert und letztendlich gewalttätig. Der Unterschied: Ihre religiöse Ideologie erlaubt es ihnen, ihr Tun und Handeln vor sich selbst und anderen zu rechtfertigen und akkordiert Schaden anzurichten.

Offener Dialog muss möglich sein

Damit einer weiteren Verschärfung der Trennlinien – sowohl seitens der westlichen Mehrheitsgesellschaft in Richtung Verbarrikadierung und Abschottung als auch seitens der Minderheiten, die sich durch dieses Verhalten bestätigt sehen – Einhalt geboten werden kann, wäre es wichtig, dass darüber auch schonungslos diskutiert wird. Und das heißt auch, dorthin zu gehen, wo es wehtut. Im Fall vieler Muslime wäre das: die instinktive Abwehrhaltung gegenüber Kritik von außen aufzugeben und gleichzeitig einen offenen internen Dialog zu starten, der es erlaubt, Glaubensinhalte zu hinterfragen. Damit könnte langfristig gesehen ein positiver Prozess in Gang gesetzt werden, der diesem integralen Bestandteil der Bevölkerung zu mehr Anerkennung verhelfen würde und zum Nutzen aller wäre. (Teresa Eder, derStandard.at, 14.1.2015)