Die Wanne war voll in der Sesamstraße. Mittendrin plantschte der nackige Ernie, holte seine kleine Plastikfreundin aus dem Schaum und streichelte sie. "Oh Quietscheentchen, nur mit dir, plansche ich so gerne hier", sang der Kerl mit dem strubbeligen Haar. "Quietscheentchen. Wenn ich drücke, sagst du was", trällerte Ernie in seinem Schaumbad weiter.
Es war die erste Liebeserklärung an das hohle Tier, kundgetan im amerikanischen Fernsehen am 13. Jänner 1971. Seither feiern die Fans der zitronengelben Badeente diesen Tag, der gleichzeitig als Geburtstag der Quietscheente gilt.
Dabei gibt es das Gummigeflügel schon sehr viel länger. Seine historischen Spuren sind allerdings verschwommen. Eine Patentanmeldung in den amerikanischen Archiven belegt zum ersten Mal schriftlich die Existenz einer Badeente. Der Bildhauer Peter Ganine wollte 1949 den Erfinderschutz für sein Spielzeug. Drei Jahre später begann die Arhauser Firma Lanco im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen, kleine Entchen aus Naturlatex herzustellen. Warum allerdings die im wahren Leben anders kolorierten Enten sonnengelb daherkommen, ist nicht geklärt. Weil die gelben Hühnerküken als so flauschig und süß gelten, lautet eine einleuchtende, aber nicht bewiesene Version für die Farbwahl.
Entenboom
Und noch etwas stimmt nicht mit dem Original überein: Obwohl die Ente in freier Natur schnatterhaft daherkommt, quietscht das Gummipendant. Ein kleines Ventil am Bauch sorgt beim Zusammendrücken für den charakteristischen Ton. Zwar haben dem Entchen die Brüsseler Beamten im Namen der Kinderohren verboten, zu laut zu fiepen, das lustige Spielzeug ist trotzdem beliebt wie nie zuvor.
Die Kunststoffdinger gelten als derart süß, dass sie in zahlreichen Werbespots Unternehmen Sympathie bringen sollen. Ob für einen Sonnencremehersteller, der sie vor dem Dahinschmelzen schützt, oder einen Baumarkt, der sie gleich scharenweise in seine Wanne hüpfen lässt. Zwischen Ostsee und Bodensee wirbt inzwischen eine gelbe Badeente mit dazugehörigem Ortsschild für zahlreiche Städte. Das Thema Enten habe in den letzten Jahren enorm zugenommen, meint Jan Breuer, Chef einer norddeutschen Werbefirma, der die Stadtreklame-Enten erfunden hat.
Ente bei der Queen
Selbst Erwachsene schämen sich nicht mehr, über ihre Badewannenabenteuer mit Schaum und Schwimmente zu berichten. Das Ding ist mittlerweile nicht mehr peinlich, sondern so etwas wie ein Kulturgut. Selbst die englische Königin, Königin aller Etikette, soll in ihrem Badezimmer eine gelbe Gummiente haben, mit einer aufblasbaren Krone auf dem Haupt.
Regelmäßig geht das kleine gelbe Kunstgeflügel auch für gute Zwecke auf Seen ins Rennen. Schaulustige kaufen für einen kleinen Obolus eine Ente und spenden damit für einen guten Zweck. Im österreichischen Skigebiet Warth-Schröcken, das für sichere Schneelage wirbt, müssen die Badeentchen gar auf die Piste. Beim "Charity-Skitag" sausen sie den Hang herab und erringen auf dem Siegerpodest für ihren Sponsor einen Preis.
Kostümente
Längst ist die legendäre gelbe Ente nur eine unter vielen Verwandten, die in allen Regenbogenfarben und allerlei Kostümen daherschwimmen. Sie präsentieren Städte wie Wien mit Stephansdom und Riesenrad unter den Flügeln, London mit Big-Ben-Kopf oder Paris mit Eiffelturm und Baskenmütze. Andere sind Akademiker, Ärzte und Seefahrer oder geben den Mozart mit Rokokoperücke und Geige, Kaiserin Sisi mit silbernem Krönchen oder ein Brautpaar inklusive Zylinder und Schleier. Aus der Nähe von Sheffield kommen Tierchen im Zauberwürfeldesign der 1980er-Jahre, mit Zwei-Finger-Victory-Zeichen auf dem Leib oder mit gelber Blumenwiese vor tiefblauem Badesee.
Weil das Kunststofftier so gut ankommt, kam auch die Welt der Kunst auf die Ente. Der Niederländer Florentijn Hofman schuf 2009 eine mehrere Meter hohe Megaente, die er in zahlreichen Hafenbecken, etwa in São Paulo, Pittsburgh oder Hongkong, über das Wasser treiben ließ. Die Gummiente kenne keine Grenzen, sagte Hofmann, "sie diskriminiert keine Leute und hat keine politische Konnotation".
Ente auf Eierlikör
Die Ente, die dreinschaut, als kenne sie keine schlechte Laune, fand so auch den Weg in die Küchenlabore eines Drei-Sterne-Kochs. Thomas Bühner, Chef im Osnabrücker Restaurant La Vie, bewunderte zusammen mit seinem Patissier René Frank bei einem Besuch in Asien das gigantische Kunstgeflügel auf den Wellen. Frank kaufte an der Mole ein paar der Tierchen im Miniformat als Andenken. Zu Hause in Deutschland machten sich die Spitzenköche einen Spaß daraus, die Ente in ein Dessert zu setzen. So thront eine Badeente mit roter Schnute, die aus einem Sorbet aus Gin, Eierlikör und weißem Pfirsich besteht, am Rand eines Tellers mit einem süßen Cocktail-Schaum.
Nass wird das Quietschtier aber nicht nur in der Badewanne oder im Eierlikör: Eine Riesenfamilie der Badeenten ging im Januar 1992 auf eine unfreiwillige Weltreise. Der Seegang brachte damals im Nordpazifik das Schiff Tokio Express ins Schlingern. Ein Brecher schwemmte drei Container über Bord, und tausende Entchen schwammen in die Freiheit –um dann in den nächsten Jahren zwischen Wellenbergen, Wirbeln und in seichtem Wasser quer durch die Ozeane zu plantschen. Menschen fanden sie in Alaska, am Strand der Aleuten und in Japan. Einige froren sogar im Nordpolarmeer fest, nachdem sie in drei Jahren fast 11.000 Kilometer auf den Meeren zurückgelegt hatten.
Ein Glücksfall
Warum aber strandeten einige der Kunststoffvögel, die die Route Richtung Süden nahmen, auf Hawaii? Für Ozeanografen war der Unfall der Quietscheenten ein unglaublicher Glücksfall. "Es ist absolut unglaublich, was wir von einer Ente lernen können", sagt einer der profiliertesten Meereskundler, Curtis Ebbesmeyer. Denn die Meereskundler studierten genau, mit welchen Strömungen die Plastiktierchen über die weltweiten Gewässer trieben. Dafür hatten sie früher Flaschenpost und Bojen ausgesetzt.
Normalerweise bestimmt die Gummiente nicht auf den Weltmeeren den Kurs, sondern ist in der Wanne heimisch. Nicht so bei Meisterkomiker Loriot. Der platzierte seine berühmte Figur, Herrn Müller-Lüdenscheidt, in einem Hotelzimmer überraschenderweise mit dem wildfremden Herrn Kloebner in einer Badewanne. Nachdem die beiden sich endlich einig sind, Wasser einzulassen, bricht ein Streit aus, ob denn nun auch die weiße Badeente ins Wasser darf. Dieser gipfelt in den Worten: "Wenn Sie die Ente hereinlassen, lasse ich das Wasser heraus." Der Ente ist das piepegal. Ein weiterer Vorzug des stubenreinen Haustiers. (Oliver Zelt, RONDO, DER STANDARD, 16.1.2015)